von Severin Auer
Erschienen im Deadline-Magazin Nr. 19: Bereits zum siebten Mal lockte das FANTOCHE Künstler, Studenten, Presse und viel Publikum nach Baden. Mit 31.000 Zuschauern war das Festival äusserst gut besucht und zeigte einmal mehr, dass der Animationsfilm über lange Zeit völlig zu Unrecht stiefmütterlich behandelt wurde. Die Veranstalter erkennen den Trend und werden das Festival neu im Jahresrhythmus durchführen. 223 Kurz- und Langfilme aus 45 Ländern standen auf dem Programm und zollten dem Genre in seiner ganzen Vielfalt Tribut. Neben dem klassischen Zeichentrick- und Stop-Motion-Film waren auch die mit Game-Engines entwickelten Machinima und intermediale Mischformen von Foto, Film, Computer und Zeichenstift vertreten.
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Auf innovative Weise hat Lucia letztere Technik mit einem cinematografischen Ansatz gepaart und wurde von der Jury prompt als Gewinner im internationalen Wettbewerb ausgezeichnet. Der chilenische Beitrag erzählt von einem Mädchen, welches seine Erinnerungen an den Sommer zum Albraum mutieren lässt. Im Schweizer Wettbewerb mussten sich Rafael Sommerhalder mit Flowerpots (Youtube-Link) und Georges Schwizgebel mit Retouches (Youtube-Trailer) den Preis teilen.
Nicht immer war es das erklärte Ziel der Künstler, eine durchdachte Geschichte zu präsentieren. Gerade in den Kurzfilmen stand die Machart deutlich im Vordergrund. So auch beim Italiener “Blu”, der den öffentlichen Raum zu seiner Projektionsfläche macht. Auf Mauern, Bürgersteigen und Strassen malt er bizarre Kreaturen und erweckt sie durch das Fotografieren einzelner “Frames” zum Leben. Sein Festivalbeitrag Muto (Youtube-Link) erhielt den Publikumspreis. Gelungen auch Western Spaghetti (Youtube-Link) von PES, welcher mit alltäglichen Haushalts- und Spielgegenständen in Stop-Motion eine banale Essenszubereitung zeigt. Diese äusserst einfallsreiche Offenbarung wurde mit einer speziellen Erwähnung bedacht.
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Die gezeigten Langfilme standen ihrerseits nicht unter Konkurrenzdruck. Neben Pixars Up und dem bereits am NIFFF gezeigten Mary&Max konnten die Zuschauer unter anderem auch Hayao Miyazakis ein Jahr alten, aber noch immer aktuellen Anime Ponyo on the Cliff by the Sea geniessen. Klar, dass sich die Fangemeinde eine solche Möglichkeit nicht entgehen liess. Entsprechend schnell waren die drei Vorstellungen auch ausverkauft. In Anlehnung an Andersens Märchen “Die kleine Meerjungfrau” verliebt sich ein Fischmädchen in den fünfjährigen Sosuke. Ihr innigster Wunsch ist es, Menschengestalt anzunehmen, was ihr Vater aber gar nicht gerne sieht. Naturgewalten geraten aus den Fugen und überschwemmen das Festland. Miyazaki verzichtet auf eine komplexe und vielschichtige Geschichte und sucht sein primärs Zielpublikum bewusst unter den Kindern, für die sein letzter Streich Das wandelnde Schloss schlicht zu lang und zu kompliziert war. Auch wenn sich Ponyos Charakterentwicklung auf die äusserliche Metamorphose beschränkt und es im Verlauf der Geschichte keine Stolpersteine gibt, die sich nicht mit einem Fingerschnippen lösen lassen würden, so trumpft der Anime dennoch mit seiner unglaublichen Detailverliebtheit und wunderschönen (komplett handgemalten!) Bildern auf.
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Dass die Animationsfilm-Kultur auch in Israel stark im Kommen ist, hat Walz with Bashir bereits bewiesen. Regisseurin Tatia Rosenthal tritt hier nicht direkt in die grossen Fussstapfen, sondern kann vielmehr als Vorreiterin bezeichnet werden. Gut zehn Jahre ihres Lebens hat sie in den sehenswerten Stop-Motion-Film $9.99 investiert, der auf einer Kurzgeschichte von Etgar Keret basiert. Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens bestellt eine der Hauptfiguren ein Buch im Internet, das auf existenzielle Fragen Antworten geben soll. Die Inspirationsquellen Short Cuts und Magnolia sind gut erkennbar, denn auch hier wird episodisch aus dem Leben unterschiedlicher Menschen erzählt
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Um einiges verspielter gehen Stéphan Aubier und Vincent Patar zu Werke. Ihr amüsanter Langspielfilm Panique au Village basiert auf der gleichnamigen belgischen TV-Serie und versetzt deren Protagonisten Cowboy, Indien und Cheval in ein abgedrehtes Abenteuer. Mit Plastikfiguren aus der Spielzeugkiste und der “Hauruck”-Animation erinnert der Film in seiner Ausführung an die alten Kindertage. Die infantile Logik der Geschichte und die originelle Machart konnten das Publikum hellauf begeistern.
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Zu einer Plauderstunde lud auch Tarik Saleh, der kurzfristig direkt aus Venedig (O-Ton: “Worst organized festival”) eingeflogen kam und seinen in Italien kurz zuvor prämierten Film Metropia vorstellte. Angelehnt an Orwells 1984 und Foucaults Überlegungen zum Panoptikum, erkennt die Hauptfigur, dass die innere Stimme, die sich immer wieder bemerkbar macht, gar nicht ihr selbst gehört und ihr Leben bis ins Detail kontrolliert. Der Regisseur erzählte angeregt über die Schwierigkeit, nicht dem Cartoon Look zu verfallen, Hollywoods Versuch, die Story von Europa nach Amerika zu verlegen, Pixars Unfähigkeit, einen neuen Look zu erschaffen und über Vincent Gallo und Lars von Trier, die fünf unangenehm Fragen zum Drehbuch stellten.
Das FANTOCHE wird nächstes Jahr wieder im September in Baden stattfinden.
Bilder v.o.n.u.:
Lucia, Retouches, Flowerpots, Western Spaghetti, Muto, Ponyo on the Cliff by the Sea, Mary&Max, $9.99, Panique au village, Metropia.
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