Hinter der Maske
von Sarah Stutte
Mit seinem ersten Film ist Modedesigner Tom Ford ein ganz grosser Wurf gelungen: ein kleines, stilles Meisterwerk über Verlust, Trauer, Einsamkeit und den Rückweg in ein Leben, in dem das wahre Ich meist verborgen bleibt.
George Falconer (Colin Firth) ist im Jahr 1962 Literaturprofessor an einer Universität in Los Angeles, doch von seinem Alltag und dem Geschehen um ihn herum bekommt er nicht mehr viel mit. Vor acht Monaten verlor er seinen Lebenspartner Jim (Matthew Goode) bei einem Autounfall, seitdem steht Georges Welt still, zumal er sich nicht von Jim verabschieden konnte: Dessen Familie verweigerte ihm die Anwesenheit auf der Beerdigung. Von schweren Depressionen geplagt, will sich George an einem Tag im November das Leben nehmen, bevor ihn die innere Leere gänzlich aufgefressen hat. Der 50-jährige verbringt seinen letzten Tag damit, den eigenen Schreibtisch an der Uni leer zu räumen, der privaten Hausangestellten Geld zu hinterlassen, nochmal einen Abend mit seiner besten Freundin Charley (Julianne Moore) zu verbringen und die jugendliche Frische und Unbekümmertheit des Studenten Kenny (Nicholas Hoult) förmlich in sich aufzusaugen. Durch die Begegnungen und Erlebnisse dieses einen Tages, passiert etwas, das völlig konträr zu Georges Plänen steht: Er gewinnt seine Lebensfreude zurück.
Es überrascht nicht, dass Tom Fords Regiedebüt in atmosphärischen, schönen Bildern daherkommt, die gekonnt mit Licht und Schatten spielen. Einen gewissen Sinn für Ästhetik erwartet man schliesslich von einem Modedesigner. Unter dieser hübsch anzusehenden Oberfläche verbirgt sich aber eine verblüffende Tiefe und Dichte, mit der Ford den gleichnamigen Roman von Christopher Isherwood inszeniert. Noch dazu in einer Erzählweise, die – einzig in der Literatur üblich – in Filmen eher langweilig anmutet: Eine Stimme aus dem Off gibt es nicht. Die Kamera folgt lediglich den Gedanken der Hauptfigur, beobachtet, ohne einzugreifen oder zu werten. Anstatt die Gedanken von den Dialogen abzusetzen, ergänzen sich beide fliessend. Weil sich der dargestellte Tagesablauf aus sich heraus zu ergeben scheint, drängt sich die dramaturgische Lenkung dem Zuschauer nicht offensichtlich auf. Das alles verleiht A Single Man eine bestechende Authentizität.
Dabei erscheint die Geschichte vergleichsweise simpel, als ganzer, ruhiger Moment. Äusserlich passiert nicht viel. Innerhalb der Glasglocke aber, in der sich die Figuren zu befinden scheinen, brodelt es. Dass die im Film dargestellte Zeit von der Angst vor einem Nuklearkrieg oder der ungezügelten Jugend geprägt war, wird von Ford quasi nebenbei eingeführt, durch Kinoplakate oder Dialoge über Schutzmassnahmen. Dies wiederum macht den begrenzten Raum für offenkundige Gefühle sichtbarer, lässt die schmerzhafte Einsamkeit spüren, in der sich der homosexuelle George befindet, der nicht nur in seiner ganzen Lebensart von der Gesellschaft isoliert ist, sondern auch in der Trauer um seine Liebe allein bleibt. Die Homosexualität der Hauptfigur wäre im Normalfall nicht wichtig, dient hier aber – nicht nur bezogen auf den geschichtlichen Hintergrund – einer stärkeren emotionalen Wahrnehmung, die den versteckt gehaltenen Verlust in seiner ganzen Tragweite begreifen lässt. Den herausragend spielenden Colin Firth begleitet ein Ensemble voller skeptischer, vom Leben enttäuschter Existenzen. Julianne Moores Performance als verbitterte, geschiedene Charley, die nur im Alkohol Trost findet und sich in der Illusion des vergangenen Glücks ihrer Jugendjahre in London verliert, ist genauso eindringlich wie die des nach Halt suchenden, sich unverstanden fühlenden Nicholas Hoult (der Junge aus About a Boy) als Kenny. Weil alle Protagonisten in ihrer Art und Weise unangepasst sind, ist die dargestellte Verlassenheit, die öffentliche Maskierung sowie die Trauer um den geliebten Menschen universell. Natürlich auch, weil wir alle diese Empfindungen kennen, ähnliche Erfahrungen schon gemacht haben oder zumindest fürchten.
Inhaltlich ist A Single Man grandios. Mit guten Dialogen, wie man sie lange nicht mehr in einem Film gehört hat, tollen Darstellerleistungen, einem Thema, das trotz seiner Schwere Platz für Optimismus lässt, und einer Emotionalität, die schlichtweg unter die Haut geht. Ein bisschen weniger bedeutungsschwangere Musik hier und da hätte dem Film gut getan. Trotz allem ist er in seiner Intensität und Bildstärke nahezu berauschend.
[kkratings]
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A Single Man (2009)
Originaltitel: –
Land: USA
Regie: Tom Ford
Drehbuch: Tom Ford, Christopher Isherwood (Roman)
Schauspieler: Colin Firth, Julianne Moore, Nicholas Hoult, Matthew Goode, Jon Kortajarena, Paulette Lamori, Ryan Simpkins, Ginnifer Goodwin, Teddy Sears, Paul BUtler, Aaron Sanders, u.a.
Musik: Ingo Frenzel
Laufzeit: 99 Minuten
Start CH: 11.02.2010
Verleih: Ascot Elite
Weitere Infos bei IMDB[/box]
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©Ascot Elite
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