von Daniel Paredes
Das Filmfestival in der südfranzösischen Küstenstadt Cannes ist für viele das jährliche Highlight der Filmszene. Es ist das A-Festival schlechthin, wo jeder Regisseur, der etwas von sich hält, seinen Film gerne zeigen würde. Um sich vor Augen zu halten welchen Einfluss Cannes – wo auch jährlich einer der grössten Filmmärkte stattfindet – auf die Filmwelt und vor allem die Zeitrechnung nach dem Festival hat, zeigt ein Blick auf die letztjährige „Compétition“ – den offiziellen Wettbewerb des Festivals.
Denn eine Nominierung für die Goldene Palme ist quasi schon ein Gewinn, und so durften sich im letzten Jahr Filme wie Pedro Almodóvars Los Abrazos Rozos, Andrea Arnolds Fish Tank, Lars von Triers Antichrist, Quentin Tarantinos Inglourious Basterds sowie Jacques Audiards Un Prophète und Michael Hanekes Das weiße Band, der die Goldene Palme gewann, über die Teilnahme freuen. In der Folgezeit haben diese Filme das Kinojahr wesentlich mitgeprägt, unzählige Preise abgestaubt und in unterschiedlichsten Diskursen von sich Reden gemacht: Cannes ist so etwas wie der Startschuss in eine neue Filmsaison; ein Ort, wo allen voran dem Regisseur gehuldigt wird, und ein Ort, wo schon mancher Meilenstein des Kinos seine Geburt feierte.
Nun wurde das Programm der diesjährigen Ausgabe, die vom 12. bis 23. Mai stattfinden wird, bekannt gegeben. Welcher Film wird die Goldene Palme in diesem Jahr gewinnen? Welcher Hoffnungsträger entpuppt sich als Flop? Welches Skandalwerk bringt die Publikumsgäste ins Schwitzen und die impulsiven Kritiker in Rage? Auch wenn man sich selbst nicht zu den erlesenen Festivalgästen zählen kann, ermöglicht die umfangreiche Berichterstattung rund um die Festtage, insbesondere dank dem Internet, Einblicke in das Geschehen, wodurch man bereits erahnen kann, welche Werke in den anschliessenden Monaten die Diskussionen der Cineasten anheizen werden. Wir sind jedenfalls gespannt wie ein Flitzebogen! Apropos Flitzebogen: Eröffnet wird das Festival in diesem Jahr mit Ridley Scotts Robin Hood – mit Russell Crowe in der Titelrolle und Cate Blanchett als Maid Marian. Aber nun zu den Wettbewerbsfilmen. Nominiert für die Goldene Palme 2010 sind:
Compétition
Mathieu Almaric TOURNÉE 1h51
Xavier Beauvois DES HOMMES ET DES DIEUX 2h00
Rachid Bouchareb HORS LA LOI 2h11
Alejandro González Iñárritu BIUTIFUL 2h18
Mahamat-Saleh Haraun UN HOMME QUI CRIE 1h40
Im Sangsoo HOUSEMAID 1h46
Abbas Kiarostami COPIE CONFORME 1h46
Takeshi Kitano OUTRAGE 2h00
Lee Chang-dong POETRY 2h15
Mike Leigh ANOTHER YEAR 2h09
Doug Liman FAIR GAME 1h44
Sergei Loznitsa YOU. MY JOY 1h50
Daniele Luchetti LA NOSTRA VITA 1h33
Nikita Mikhalkov UTOMLYONNYE SOLNTSEM 2 2h21
Bertrand Tavernier LA PRINCESSE DE MONTPENSIER 2h15
Apichatpong Weerasethakul LOONG BOONMEE RALEUK CHAAT 1h30
![]() |
![]() |
![]() |
![]() |
![]() |
Auffallend an dieser Auswahl ist zunächst, dass die illustren Namen fehlen. Gerne hätte man Terrence Malicks neugierig erwartetes Opus Tree of Life mit Sean Penn und Brad Pitt gesehen. Darren Aronofskys Black Swan, Julian Schnabels Miral, Clint Eastwoods Hereafter, François Ozons Potiche oder sogar Christopher Nolans Science-Fiction-Film Inception kursierten ebenfalls in den Gerüchteküchen. Auch einen deutschen Regisseur sucht man in der Hauptkategorie trotz Michael Hanekes letztjährigem Erfolg vergebens. Publikumsmagnete wie der bereits angesprochene Robin Hood von Ridley Scott, You Will Meet a Tall Dark Stranger von Woody Allen oder Wall Street – Money Never Sleeps von Oliver Stone spart man sich ausserdem für Aufführungen ausserhalb des Wettbewerbs auf – um doch einige Hollywood-Stars an die Croisette zu locken und im Blitzgewitter des Roten Teppichs zu präsentieren.
Doug Liman ist denn auch der einzige US-amerikanische Regisseur, der es in den Wettbewerb geschafft hat. Sein Film Fair Game handelt von der „Plame-Affäre“ und zeigt Sean Penn und Naomie Watts in den Hauptrollen. Dass die beiden gut zusammen harmonieren, konnten sie bereits in The Assassination of Richard Nixon und insbesondere in 21 Grams unter Beweis stellen. In Cannes werden sie dann wieder auf Alejandro González Iñárritu, dem Regisseur des letztgenannten Films, treffen, der sein neues Werk BiutifulOutrage zu seinem Fachgebiet, dem anspruchsvollen Yakuza-Film, zurück. Natürlich wird er darin selbst in die Rolle eines Yakuzas schlüpfen, der eine gefährliche Aufgabe zu bewältigen hat. Mike Leigh, der bereits zum vierten Mal in Cannes vertreten ist, hat 1993 für sein verstörendes Sozialdrama Naked den Regiepreis erhalten und drei Jahre später für die charmante Komödie Secrets & Lies sogar die Goldene Palme gewonnen, so darf sich der Engländer auch mit Another Year – ein passender Titel für seine Teilnahme – wieder Hoffnungen machen. Hoch im Kurs steht auch der russische Beitrag und Fortsetzung zu Utomlyonnye solntsem (Burnt by the Sun). Allein deswegen weil Nikita Mikhalkov bereits 1994 mit seinem Zweiter-Weltkrieg-Epos die Kritiker begeistern konnte, den Grossen Preis der Jury und den Ökumenischen Filmpreis gewann, als auch später den Oscar für den besten ausländischen Film. mit Javier Bardem einreichte. Bardem spielt darin einen Mann, der in illegale Drogengeschäfte verwickelt ist, und mit einem Kindheitsfreund konfrontiert wird, der als Polizist auf der anderen Seite des Gesetzes steht. Neben Iñárritu dürften Takeshi Kitano und Mike Leigh die beiden berühmtesten Autorenfilmer des Wettbewerbs sein. Der Japaner Kitano kehrt mit
Die Jury des Wettbewerbs ist mit bekannten Namen gespickt wie z.B. Kate Beckinsale, Shekhar Kapur, Benicio Del Toro und nichtzuletzt mit Kultregisseur Tim Burton als Präsidenten. Es wird spannend sein, ob sie sich am Ende für einen der favorisierten Filme entscheiden, oder für einen Aussenseiter wie beispielsweise Poetry des Südkoreaners Chang-Dong Lee, die Regie-Arbeit Tournée des französischen Schauspielers Mathieu Almaric oder Copie Conforme des Teheraners Abbas Kiarostami.
Selbstverständlich gibt es neben dem eigentlichen Wettbewerb noch andere spannende Kategorien wie etwa „Un Certain Regard“, wo in diesem Jahr Claire Denis als Präsidentin der Jury fungiert. Hier tummelt sich viel Talent und Nachwuchs, weshalb auch einige Debütfilme unter den ausgesuchten Werken zu finden sind. Dementsprechend stechen die drei gestandenen Regisseure besonders hervor: Zum ersten natürlich der in der Schweiz wohnhafte französische Meisterregisseur Jean-Luc Godard, der mit Film SocialismeChatroom erneut einen Genrefilm; wer könnte ihm das auch verübeln, hatte er doch einst mit Ringu dem Gruselfilm neue Impulse verliehen. Alle weiteren Filme und Kategorien im Überblick: wieder einen neuen Film vorstellen wird. Ganze 22 Jahre älter als Godard ist das portugiesische Regie-Phänomen Manoel De Oliveira – und das ist insofern nennenswert, da Godard bereits 80-jährig ist. Der erfahrene Filmemacher dürfte deshalb nicht nur künstlerisch ein Vorbild für seine jungen Mitstreiter sein, sondern auch in Sachen Ausdauer und Effizienz, denn der Mann übt schon seit fast 80 Jahren sein Handwerk aus! Weitaus jünger aber auch kein Unbekannter ist der Japaner Hideo Nakata. Er präsentiert mit
Un Certain Regard
Derek Cianfrance BLUE VALENTINE 1h34
Manoel De Oliveira O ESTRANHO CASO DE ANGÉLICA 1h34
Xavier Dolan LES AMOURS IMAGINAIRES 1h35
Ivan Fund, Santiago Loza LOS LABIOS 1h40
Fabrice Gobert SIMON WERNER A DISPARU… 1h27
Jean-Luc Godard FILM SOCIALISME 1h41
Christoph Hochhäusler UNTER DIR DIE STADT 1h45
Lodge Kerrigan REBECCA H. (RETURN TO THE DOGS) 1h15
Ágnes Kocsis PÁL ADRIENN 2h16
Vikramaditya Motwane UDAAN 2h18
Radu Muntean MARTI, DUPA CRACIUN 1h39
Hideo Nakata CHATROOM 1h37
Cristi Puiu AURORA 2h59
Hong Sangsoo HA HA HA 1h56
Oliver Schmitz LIFE ABOVE ALL 1h40
Daniel Vega OCTUBRE 1h23
David Verbeek R U THERE 1h27
Xiaoshuai Wang RIZHAO CHONGQING 1h45
Hors compétition
Woody Allen YOU WILL MEET A TALL DARK STRANGER 1h38
Stephen Frears TAMARA DREWE 1h49
Oliver Stone WALL STREET – MONEY NEVER SLEEPS 2h16
Séances de minuit
Gregg Araki KABOOM 1h28
Gilles Marchand L’AUTRE MONDE 1h40
Séances spéciales
Charles Ferguson INSIDE JOB 2h00
Sophie Fiennes OVER YOUR CITIES GRASS WILL GROW 1h40
Patricio Guzman NOSTALGIA DE LA LUZ 1h30
Sabina Guzzanti DRAQUILA – L’ITALIA CHE TREMA 1h30
Otar Iosseliani CHANTRAPAS 2h05
Diego Luna ABEL 1h20
Leave a Reply