von Sarah Stutte
Hintergrund: Mit 14 Jahren sah Autor Stieg Larsson mit an, wie seine Freunde ein Mädchen vergewaltigten und griff nicht ein. Seitdem widmete er sein Leben der Aufdeckung von sozialen und gesellschaftlichen Missständen und war selbst Journalist und Herausgeber eines antirassistischen Magazins, bevor er sich an die Romanreihe Millennium machte, die eigentlich auf zehn Bücher angelegt war. Die ersten drei konnte er fertig stellen, als er 2004 mit nur 50 Jahren unerwartet an den Folgen eines Herzinfarktes starb. Posthum wurden Verblendung, Verdammnis und Vergebung in Schweden veröffentlicht und mauserten sich, mit zahlreichen Preisen bedacht, innert kürzester Zeit zu Weltbestsellern. Die Verfilmungen folgten auf den Fuss. Da Band vier bis sechs immerhin als Exposés vorliegen und der fünfte Band von Larsson fast fertig gestellt worden sein soll, streiten sich die Familie und seine Freundin seitdem um die Veröffentlichung. Bruder und Vater besitzen zwar die Rechte an den Werken und wollen deshalb die Storys von anderen Autoren zu Ende schreiben lassen. Larssons Freundin, mit der er 32 Jahre lang bis zu seinem Tode liiert war (nur nicht verheiratet, was ihr deshalb nach schwedischem Gesetz kein Anrecht auf die Hinterlassenschaft einräumt), will aber genau dies verhindern und ist darüber hinaus noch im Besitz der Manuskripte. Ob es ein weiteres Wiedersehen mit Lisbeth Salander auf der grossen Leinwand geben wird, ist deshalb mehr als fraglich. Witzig ist aber diese Randnotiz: die Charaktere im androgynen Gruftie-Look und coolem Auftreten, die in den Geschichten zwischendurch auch was mit Frauen hat, beförderte Noomi Rapace kurzerhand auf den Thron eines Lesbenidols schlechthin, womit auch der hohe Frauenanteil in den Kinos zu erklären ist.
Bild: © David Lagerlöf
Millennium 1 – Verblendung (2009)
Inhalt: Der 82-jährige Unternehmer Henrik Vanger (Sven-Bertil Taube) suchte lange Zeit vergeblich nach seiner 1966 spurlos verschwundenen Nichte Harriet. Diese, so meint der betagte Mann, würde ihm jedes Jahr zum Geburtstag eine getrocknete Blume zuschicken, ergo noch leben. Weil ihm die Ungewissheit keine Ruhe lässt, startet er einen letzten Aufklärungsversuch und beauftragt Journalist Mikael Blomkvist (Michael Nyqvist) mit den Recherchen. Dieser muss gerade eine Zwangspause von der Arbeit an seiner Wirtschaftszeitschrift Millennium nehmen: er wurde wegen Verleumdung verurteilt, aufgrund einer Enthüllungsstory über den Industriellen Wennerström, die auf falschen Beweisen fusste. Bis zum Antritt seiner dreimonatigen Haftstrafe hat er also Zeit und erkennt überdies in Harriet seine frühere Babysitterin wieder. Die junge Hackerin Lisbeth Salander (Noomi Rapace) wurde zuvor von Vangers Anwalt beauftragt, Blomkvists Computer auszuspionieren, um diesen zu überprüfen. Heimlich klinkt sie sich jedoch auch nach Abschluss ihrer ersten Untersuchungen in dessen Computer, erfährt so von Blomkvists Ermittlungen im Fall Harriet und versucht ihn dabei zu unterstützen. Die beiden kommen dahinter, dass das Verschwinden von Harriet in Verbindung mit sexuellen Motiven und seriellen Frauenmorden steht. Lisbeth ist mit dieser Art von Gewalt nur zu gut vertraut, steht sie doch unter Vormundschaft, seit sie als Kind einen Mordanschlag auf ihren prügelnden Vater verübte. Auch ihr neuer Vormund Bjurman (Peter Andersson) nutzt seine Machtposition schamlos aus, um Lisbeth auf brutale Weise sexuell zu missbrauchen.
Kritik: Der fulminante Start der Millennium-Trilogie und gleichzeitig die beste Romanadaption der packenden wie verstörenden salandrischen Tortur. Stieg Larssons Vorlage zeichnete mit vielschichtigen Personenporträts und zahlreichen Nebenhandlungen ein überaus kritisches Bild der schwedischen Gesellschaft: Pressediktat, wirtschaftliche und staatliche Korruption, menschliche Abgründe. Sicherlich musste der Buchinhalt gekürzt und an manchen Stellen aus der Komplexität genommen werden (Wennerström-Affaire, Fast-Bankrott der Zeitschrift oder Liebesbeziehung von Berger und Blomkvist, die erst im 2. Teil aktuell wird), auch wurde die chronologische Abfolge der Geschehnisse verändert. Doch büsste die Geschichte beim Sprung auf die Kinoleinwand nichts von seiner atmosphärischen Dichte ein. Die wörtliche Übersetzung des Originaltitels: „Männer, die Frauen hassen“, trifft es genau. Die Hauptstory um die verschwundene Vanger-Nichte ist spannend bis zum Nägelkauen und deren Auflösung so abgrundtief düster, böse und unerträglich, wie die sexuell-sadistischen Übergriffe an Salander durch ihren Vormund. Zudem ermittelt das ungewöhnliche Duo Blomkvist/Salander, deren Zusammenspiel schon im Buch fesselte, hier das einzige Mal gemeinsam. Und die hervorragenden schauspielerischen Leistungen der beiden
Hauptcharaktere tragen den Film: Michael Nyqvist gibt den idealistischen Wahrheitsfinder genauso überzeugend wie Noomi Rapace die mit ihrer androgynen Darstellung einer jungen Frau zwischen kindlichem Trotz, Wut und Verletzlichkeit fasziniert.
Millennium 2 – Verdammnis (2009)
Inhalt: Das Thema der männlichen Gewalt setzt sich, als eigentlicher Kern der Geschichte, auch in Verdammnis fort. Getreu dem Originaltitel: „Das Mädchen, das mit dem Feuer spielte“, steht Lisbeth Salanders Vergangenheit nun im Mittelpunkt des Geschehens. Sie erfährt, warum man sie als Jugendliche für den Anschlag auf ihren Vater in die Psychiatrie einsperrte, während dieser für die jahrelangen Demütigungen an ihr und ihrer Mutter nicht belangt wurde. Ihr Vater ist Alexander Zala Zalaschenko (Georgi Staykov), ein russischer Spion, der nach Schweden übergelaufen war und den der Geheimdienst jahrelang schützte. Kurz darauf wird Lisbeth mit einer Reihe von Morden in Verbindung gebracht (unter anderem wird ihr ehemaliger Vormund Bjurman erschossen), die sie dazu zwingen unterzutauchen. Während die Polizei fieberhaft nach Lisbeth fahndet und diese die Sache im Alleingang aufklären will, versucht Blomkvist ebenfalls ihre Unschuld zu beweisen. Durch seine Recherchen stösst er auf ein russisch-schwedisches Netz aus Prostitution und Mädchenhandel, dessen Verbindungen in die höchsten Kreise führen und in dessen Dunstkreis auch Zalatschenko eine nicht unwesentliche Rolle spielt. Lisbeth findet indes heraus, dass ihr ein gewisser Ronald Niedermann (Mikael Spreitz) auf den Fersen ist und beginnt diesen ihrerseits zu verfolgen. Er führt sie geradewegs zu einem abgelegenen Bauernhof, wo sie nicht nur auf ihren Vater trifft, sondern Niedermann auch als ihr Halbbruder vorgestellt wird. Doch die Familienzusammenführung ist keine freudige, denn beide Männer trachten Lisbeth nach dem Leben. Es kommt zum blutigen Showdown.
Kritik: Die Buchvorlage wurde radikal gekürzt, da sie mit mehr Namen gespickt und in ihrer Darstellung um die Zusammenarbeit von organisiertem Verbrechen und Staat noch um einiges umfassender ist als „Verblendung“. Hier wird Hintergrundwissen vorausgesetzt. Während sich im ersten Teil die Handlung mehr auf Mikael Blomkvist fokussierte und Lisbeth Salander zwar heimlicher Star, doch trotzdem Nebenrolle war, übernimmt sie hier nun vollends die Federführung. Noomi Rapace, die einmal mehr eindrucksvoll agiert, ist alleine auf ihrem finsteren Rachefeldzug à la Kill Bill (mit lebendigem Begräbnis und anschliessender Wiederauferstehung). Der Regisseur des ersten Teils, Niels Arden Oplev, wurde durch Daniel Alfredson ersetzt und diese Veränderung ist markant. In den Romanen hat sich Intensität und Spannung von Buch zu Buch verstärkt, vielleicht auch, weil der Krimistoff aus Verblendung in geschriebener Form nur eine Rahmenhandlung ist und die Gewichtung schon früh auf die Figuren gelegt wird. Obwohl Verdammnis als One-Women-Show funktioniert, ist der Übergang von der breiten Erzählung zum Fokus dennoch zu hart. Doch nicht nur inhaltlich, auch visuell reicht die zweite Verfilmung qualitativ nicht an den Vorgänger heran. Oplev schuf mehr Glanzpunkte, seine Adaption war kinotauglich.
Alfredson liefert im besten Fall einen guten TV-Film ab. Sicher mag das auch daran liegen, dass ursprünglich nur Teil 1 fürs Kino vorgesehen war, doch wenn man sich entschliesst, die anderen Vorlagen auch in die Lichtspielhäuser zu bringen, sollten sie auch diesem Format entsprechen.
Die Rezension zu Millennium 3 – Vergebung (2009) findet ihr hier!
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