Inception![]() Land: USA, UK Regie: Christopher Nolan Drehbuch: Christopher Nolan Darsteller: Leonardo DiCaprio, Joseph Gordon-Levitt, Ellen Page, Tom Hardy, Ken Watanabe, Dileep Rao, Cillian Murphy, Tom Berenger, Marion Cotillard, Pete Postlethwaite, Michael Caine, Lukas Haas, u.a. Kamera: Wally Pfister Schnitt: Lee Smith Musik: Hans Zimmer Laufzeit: 148 Minuten Kinostart: 29.07.2010 Verleih: Warner Bros. Pictures. All Rights Reserved Weitere Infos bei IMDB |
Geträumte Träume
von Severin Auer
Ein bildgewaltiger und intelligenter Hollywood-Blockbuster, der sich viel Zeit für die Exposition lässt, anschliessend aber umso wuchtiger einschlägt. Süsse Träume!
Christopher Nolan, Hollywoods momentaner Regie-Liebling, ist ein sicherer Wert. Sowohl für die Zuschauer wie auch für die Produzenten. Nach dem fragmentarisch erzählten Meisterstück Memento (2000) folgte mit dem Remake des norwegischen Films Insomnia (2002) eine kommerziell orientierte Bewährungsprobe. Der Film spülte Gewinn in die Kassen und so traute Hollywood dem britisch-amerikanischen Regisseur alsbald zu, dem angeschlagenen Superheld Batman (Batman Begins, 2004) zu neuen Höhenflügen zu verhelfen. Eine grosse Herausforderung für Nolan. Vor dem zweiten Fledermausfilm The Dark Knight (2008), der auch dank Heath Ledgers Joker-Darstellung ein grosser Hit wurde, realisierte er das beeindruckende Vexierspiel The Prestige (2006). Nolans Erfolg gründet einerseits auf einen bodenständigen und schnörkellosen Stil – mit ruheloser Kamera wird die Frequenz an Bildinformationen hoch gehalten – , andererseits auf das Mitwirken seines Bruders Jonathan, der ihm dabei hilft, wirklich starke Drehbücher zu entwickeln. Nach den Auftragsarbeiten für Hollywood – um es absichtlich reisserisch auszudrücken – folgt mit Inception Nolans wahre Bewährungsprobe. Der Film basiert auf einem eigenständigen Drehbuch, dessen Inhalt er über bald zehn Jahre entwickelte.
Dom Cobb (Leonardo DiCaprio) ist Extraktor. Ein Auftragsdieb, der sich mittels Traumaustausch in das Unterbewusstsein seiner Opfer schleicht, um dort geheime Informationen zu stehlen. Mit seinen besonderen Fähigkeiten hat sich Cobb natürlich nicht nur Freunde gemacht, zudem hadert er mit einer Familientragödie, die es ihm verunmöglicht, in seine Heimat zurückzukehren. Ein letzter Job könnte ihm aber die sehnlichst gewünschte Erlösung bringen: Der einflussreiche Geschäftsmann Sato (Ken Watanabe) verlangt von ihm die Umkehrung seines Könnens – Inception, das Einpflanzen einer Idee. Das Ziel: Verhinderung einer Monopolstellung. In erster Linie ein Probelauf, bei Gelingen ein Meisterstück. Das Opfer der Manipulation soll der junge Milliardär Robert Fischer Jr. (Cilian Murphy) sein, der das Imperium seines sterbenskranken Vaters übernehmen wird.
Inception lebt die Faszination an den unerschöpflichen Fähigkeiten des menschlichen Gehirns aus. Komplexe Traumwelten werden erschaffen, bis ins Detail ausgearbeitet und dem Schlafenden als fühlbare Wirklichkeit präsentiert. Wie genau Cobb mit seinem Team ins Unterbewusstsein fremder Menschen abtauchen kann, wird nicht wirklich erklärt. Eine chemische Substanz – so viel ist klar – hilft beim Einschlafen und beim Aufrechterhalten der Traumphase. Das dafür notwendige Equipment lässt sich problemlos in einem handlichen Koffer verstauen.
Die originelle Ausgangslage wird zum emotionalen Trip aus der Sicht der Hauptfigur entfaltet, die alles für das Gelingen des Jobs tun würde, die Rückkehr zu seinen Kindern in Aussicht gestellt. Im zweiten Teil funktioniert der Film zusätzlich als hochspannender „Heistmovie“ ((Bank)raubfilm) mit umgekehrten Vorzeichen. Das Unterbewusstsein des Infiltrierten ist dabei überraschend aufmerksam und schickt schiesswütige Antikörper ins Rennen, die an die Agenten aus The Matrix (1999) erinnern, um die Eindringlinge zu bekämpfen.
Nolan zieht nicht die Karte der Realitätsverwischung wie David Cronenberg in eXistenZ (1999), er legt das Schicksal der Protagonisten nicht in die Hände eines träumenden Wahnsinnigen wie Tarsem Singh in The Cell (2000) und inszeniert Traumwelten auch nicht als überbordend fantasiereichen Überraschungsfaktor wie Satoshi Kon im Anime Paprika (2006). Die geträumten Welten bei Nolan sind keine chaotischen Gebilde, sondern sorgfältig erdachte Architekturen. Seine Träume setzen sich aus realistischen Fragmenten zusammen, die neu zusammengwürfelt werden. Mit imposanten Effekten biegen sich die Strassen von Paris, ganze Häuserzeilen falten sich kopfüber aufeinander und Körper spiegeln sich in die Unendlichkeit. Der Film fordert in seinem Aufbau einen wachen Verstand, schliesslich ist er verschachtelt wie ein komplexes Labyrinth. Nolans Meisterleistung ist es entsprechend den Zuschauer im ersten Versuch auf sicherem Weg hindurchzuführen, was ihm mit Bravour gelingt. Demgemäss scheut er sich nicht, viel Zeit für eine ausführliche Exposition aufzuwenden: Cobb braucht für seinen Job nämlich einen neuen Architekten und findet diesen in der jungen Studentin Ariadne (Ellen Page), die ihren Namen nicht umsonst aus der griechischen Mythologie bezieht. Der Ariadnefaden war es nämlich, der Theseus den Weg aus dem Labyrinth zeigte. Die neugierige junge Frau übernimmt für den Zuschauer die Rolle des Wegweisers, indem Cobb ihr ausführlich die Funktionalität, die Möglichkeiten und die Navigation der und durch die Traumwelten erklärt. Darunter: Träume töten nicht, aber sie schmerzen. Diese Prämisse ist bei Nolan keineswegs verschenktes Spannungspotential.
Sowohl für die Figuren als auch den Zuschauer ist die Unterscheidung zwischen Traum und Wirklichkeit grundsätzlich klar, dies liegt mitunter an einigen Regeln. So kann sich der Träumende nie an den Traumbeginn erinnern, vielmehr sieht er sich mit einer Situation konfrontiert, ohne zu wissen, wie er dort hinein gekommen ist. Und während im Traum Stunden vergehen können, verstreichen in der Wirklichkeit nur wenige Minuten. Aufgrund dramaturgischer Gründe und der realistisch wirkenden, erlebbaren Traumwelt, benötigen die Figuren aber noch einen zusätzlichen Ankerpunkt, um Traum und Realität auseinander halten zu können: Diesen liefert die Physik, denn nur im Traum lässt sich das physikalische Verhalten eines Gegenstandes verändern – nicht in der Realität. Cobbs Totem ist der Kreisel seiner Frau, der nach irdischem Gesetz nach kurzer Zeit zu drehen aufhören muss und ihm so Gewissheit bringt, wach zu sein.
Leonardo DiCaprio spielt grossartig, keine Frage, hat sich aber vor einigen Monaten ungewollt selbst ein Ei gelegt: In Martin Scorseses Shutter Island spielte er Teddy Daniels. Ein ähnlicher Charakter, der sich selbstsicher gibt, psychisch aber mit Instabilität zu kämpfen hat. In Inception gelingt es ihm nicht, sich deutlich von dieser Figur zu distanzieren. Besonders weil sowohl Daniels wie auch Cobb einen Selbstfindungstrip durchlaufen. Der restliche Cast ist mit Joseph Gordon-Levitt, Tom Hardy, Dileep Rao, Cillian Murphy, Tom Berenger, Pete Postlethwaite und Michael Caine erstklassig besetzt. Neben Cobbs gesteht das Drehbuch den einzelnen Charakteren aber kaum eine tiefgründige Ausarbeitung zu. Sie sind in erster Linie Teil von Cobbs Team, der als Hauptcharakter den emotionalen Blickwinkel auf das Geschehen liefert. Komplex ist hingegen Cobbs Frau und Störfaktor Mal, die viel Raum für Interpretationen lässt. Marion Cotillard, mit grossen Augen, spielt höchst emotional, bedrohlich und verletzlich zugleich. Grossartig! Schön auch die Verbindung zu Edith Piaffs Chanson „Je ne regrette rien“, das den Protagonisten während der Arbeit als Signalmelodie dient, hat doch Cotillard im biografischen Drama La Môme (2007) die französische Sängerin persönlich verkörpert und dafür gar einen Oscar abgestaubt.
Nolan ist die Bewährungsprobe tatsächlich gelungen. Inception ist ein intelligenter Hollywood-Blockbuster geworden, der zweieinhalb Stunden spannende Unterhaltung auf hohem Niveau liefert – nicht zuletzt aufgrund der beeindruckend feinen Ausarbeitung des mehrschichtigen Plans, bei dem alle Zahnräder ineinander greifen. Zugleich ist Inception auch die geglückte Gratwanderung zwischen anspruchsvollem Plot, imposanten Special Effects und rasanter Action – teilweise im Stile eines James Bond. Unterlegt wird das Geschehen mit Hans Zimmers bombastischer Musik – das durch Mark und Bein wummernde Blasorchester bleibt einem noch länger in den Gehörgängen stecken. Ein Erlebnis. Der Film wird – obwohl er als als gradliniger Thriller bestehen kann – dank seiner verschachtelten Tiefgründigkeit und einem etwas aufgesetzt wirkenden Twist in der letzten Einstellung für viel Gesprächsstoff, Interpretationsversuche und Spekulationen sorgen.
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