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Enter the Void (2009)

10/08/2010 By (dap) Leave a Comment

Transzendenz im Neonlich

von Daniel Paredes

Ein unvergesslicher Trip zwischen Leben, Tod und Wiedergeburt – mit Tokio als niemals schlafendem, fiebrigem Handlungsort. Enfant terrible Gaspar Noé schickt den Zuschauer auf eine einzigartig visualisierte Reise, die zur aussergewöhnlichen Kinoerfahrung wird.

Obwohl Enter the Void (letztes Jahr in Cannes uraufgeführt) erst Gaspar Noés dritte abendfüllende Regiearbeit ist, steht sein Name für grenzüberschreitendes Kino und den zügellosen Drang, die eigenen Visionen künstlerisch durchzuringen. Vordergründig sind es die Themen Sex und Gewalt, die das Schaffen – von exzeptionellen Kurzfilmen mäandert – des argentinisch-französischen Regisseurs durchziehen – Themen eigentlich, die das Milieu bzw. die Odyssee am Rande des Abgrunds unweigerlich bereithält. Denn Noés „Helden“ machen immer eine Reise durch – ein Weg durch die Hölle auf Erden: In Seul contre tousIrréversible (2002) ist es ein Rausch durch die Unterwelt von Paris – ein Tête-à-tête mit Vergewaltigern, Zuhältern, Prostituierten und Sadomasochisten. Und in Enter the Void ist es ein spiritueller Trip durch Tokios farbenfrohes Nightlife. Noé bindet den Zuschauer dabei immer mit ein: Hat er ihn zuvor mit Warnmeldungen direkt und unverhohlen angesprochen, oder mit entfesselten Kamerafahrten und fremden Klangwelten eingelullt, lässt er ihn nun aus einer subjektiven Perspektive auf Begleittour gehen. (1998) begleitet man den Protagonisten – einen arbeitslos gewordenen Metzger – in einem heruntergekommenen Arbeiterviertel auf seinem Weg der Tristesse, der sich fortwährend in einen unvermeidbaren Amoklauf steigert. In

Tiefgründiger als die teilweise skandalträchtige Darstellung von Sex und Gewalt – aber unweigerlich damit verbunden – ist Noés kontinuierliche Auseinandersetzung mit den Themen Geburt und Tod sowie die Umkehrung oder Aufhebung von Anfang und Ende. In Seul contre tous erschiesst der Metzger seine eigene Tochter und schlägt seiner schwangeren Frau in den Bauch – ein Schlag auch gegen sich selbst, als Ausdruck endgültiger Auslöschung seiner eigenen Existenz. In Irréversible – der rückwärts erzählt wird – wird dies noch erschreckend deutlicher als man am Ende erfährt, dass das Vergewaltigungsopfer schwanger ist. Diese Erkenntnis, dargestellt in hoffnungsvollen Bildern, lässt leer schlucken, weiss man doch, was der Frau in Kürze noch bevorsteht. In Enter the Void wird die Verbindung zwischen Tod und Geburt nun in Form eines psychedelischen Seelentrips auf der Suche nach Reinkarnation ins Zentrum gerückt.

Oscar (Nathaniel Brown), ein kleinkrimineller Drogendealer, lebt gemeinsam mit seiner jüngeren Schwester Linda (Paz de la Huerta) in Tokio. Als er bei einem fingierten Drogendeal in einem Club namens „The Void“ der Polizei in die Falle tappt, versucht er eilig die Beweise die Toilette herunterzuspülen. Dabei wird er von einem Polizisten tödlich angeschossen und verendet elend auf dem Boden der WC-Kabine. In Fötus-Stellung zusammengekauert, verlässt sein Geist die körperliche Hülle. Fortan schwebt er durch die Häuserschluchten des nächtlichen Tokios, beobachtet seine Mitmenschen von oben und behält allem voran Linda im Auge. Währenddessen verliert auch die Zeit ihre überschaubare Abfolge, und Oscar wird nochmals Zeuge des tragischen Unfalls seiner Kindheit, bei welchem seine Eltern ums Leben kamen und sein Schwesterchen von ihm getrennt wurde. Hin- und hergerissen zwischen der traumatischen Kindheit und den jüngsten Ereignissen, drängt seine Reise im Schwebezustand allmählich auf eine Entscheidung zu, denn das Ende der Reise ist der biologische Anfang eines neuen Lebens.

Noé macht keinen Hehl daraus, dass diese religiöse Anschauung der Seelenwanderung aus dem tibetanischen Totenbuch entstammt – im Gegenteil: Überdeutlich wird am Anfang darauf hingewiesen, als Oscar Besuch von einem anderen Dealer bekommt, der ihm ebenjenes Buch empfiehlt und dessen Bedeutung erklärt – und mit ihm auch dem Zuschauer. Analog zum Gesagten vollziehen sich die übernatürlichen Geschehnisse im weiteren Filmverlauf. In diesem Punkt könnte man Noé allenfalls vorwerfen, den Zuschauer, was die Komplexität der Handlung angeht, zu bevormunden und der Geschichte ein gewisses Mass an Spannung zu rauben. Doch die Kritik wäre verfehlt, denn Noé setzt seine Schwerpunkte anderweitig und verzichtet mehr oder weniger auf spannungsreiche Wendungen oder ein unvorhersehbares Ende. Bei ihm speist sich der Schauwert insbesondere aus seinem visuellen Kreativitätspool: So lädt er den Zuschauer ein, sich für zweieinhalb Stunden auf einen Trip zu begeben. Kino als Fenster in eine andere Welt, aus den Augen eines anderen.

Enter the Void huldigt dem bedeutungsschwangeren Farbenspektrum aus Stanley Kubricks 2001: A Space Odyssey (1968) ebenso wie dem Erfindungsgeist des besonderen Seherlebnisses im Klassiker Lady in the Lake (1947) – ein Film von Robert Montgomery, ganz mit subjektiver Kamera gedreht. Die Wut, die Orientierungslosigkeit und der nihilistische Unterton wiederum erinnern an The Prodigys legendären Videoclip „Smack My Bitch Up“ (1997), während Tokios artifizielles Lichtermeer aus einem Videospiel stammen könnte – nicht zu vergessen die subjektive Perspektive, die für beide Beispiele essentiell ist. Trotz dieser Zitate ist der Film durch und durch Noé. So wird bereits mit den originellen Opening Credits – untermalt von LFOs Technoklassiker „Freak“ (natürlich findet sich im Film auch ein kleiner Hinweis darauf) – auf dessen Sinn für Details und Perfektion eingestimmt. Auch die subjektive Kamera wird zum perfektionierten, stetigen Stilmittel und ist schon vor der wortwörtlichen „Geisterfahrt“ im Einsatz – das Gesicht des Protagonisten sieht man folgerichtig nur im Spiegel, oder wenn die Seele den Körper verlässt.

Der Zuschauer soll durch die Kamera mit Oscar eins werden. Anfänglich beginnt dies im Drogenrausch, dargestellt mit psychedelischen Farbeffekten, in den man hineingezogen wird. Später, als Oscar seine postmortale „Out-of-Body-Experience“ macht, fliegt man mit ihm in die Lüfte, schwebt an bunten „Love Hotels“ vorbei (und durch sie hindurch) und eilt über die Strassen hinweg. Auch hier wird Noés Detailversessenheit deutlich, mit der Absicht, die Erfahrung formal möglichst perfekt zu gestalten: Wenn durch Ein- und Ausblenden das Blinzeln simuliert wird, wenn kaum Schnitte zu sehen sind, und Szenenwechsel durch das Eintauchen in Lichtquellen, wie in eine Glühbirne, erfolgen. Dabei ist man als Zuschauer scheinbar ebenso orientierungslos wie der Geist Oscars, der von alptraumhaften Visionen und Erinnerungen geplagt von einem Ort zum anderen katapultiert wird. In diesen Momenten wird man aber auch zum Beobachter: Immer wieder sieht man Linda, die auf die schiefe Bahn gerät, wie sie als Stripperin ihr Geld verdient, wie sie um ihren Bruder trauert, wie sie Sex hat und eine Abtreibung durchmacht. Zwischen Oscar und Linda besteht eine innige Verbindung, die über den Tod hinaus reicht, als ob der Geist ihres toten Bruders wie ein angebundener Ballon über ihr schweben würde. Eindrücklich authentisch verkörpert Paz de la Huerta die Rolle der Linda, mit viel Mut zur Freizügigkeit – vom naiven Teenager zum leichten Mädchen. Selten hat man eine Figur im Kino auf ähnlich eindringliche Weise kennengelernt, quasi aus der emotional hilflosen Sicht des verstorbenen Bruders, in dessen Rolle man unweigerlich schlüpft, und der mit seiner monotonen Stimme ebenso vertraut scheint, wie durch seine körperliche Abwesenheit unnahbar fremd. Noé spielt auf meisterhafte Art und Weise mit diesem Verhältnis zwischen Nähe und gleichzeitiger Distanz, zwischen Anteilnahme und Beobachtung. Dabei gelingt ihm bahnbrechendes, detailliert aufwändiges Erfahrungskino, das die Darstellungsgrenzen der Verknüpfung von Leben, Tod und Wiedergeburt sprengt und zu einem visuellen Erlebnis macht, das elektrisiert.

Selbst in den letzten dreissig Minuten, in denen die Reise ihren Abschluss finden muss, die Suche nach der „Erleuchtung“ aber etwas zu lange gerät – was nicht zuletzt Verzweiflung suggeriert –, ist man – typisch Noé – wieder am Anfang: in dem Sinne, dass für Oscar schliesslich ein neues Leben beginnt, ebenso aber in dem Sinne, dass man sich nochmals von vorne auf Enter the Void einlassen möchte. Aber erst nach einer Verschnaufpause.

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Enter the Void (2009)
Originaltitel: –
Land: Frankreich, Deutschland, Italien
Regie: Gaspar Noé
Drehbuch: Gaspar Noé
Schauspieler: Nathaniel Brown, Paz de la Huerta, Cyril Roy, Emily Alyn Lind, Jesse Kuhn, Masato Tanno, Olly Alexander, Sara Stockbridge, Philippe Nahon, Edward L. Papazian u.a.
Musik: Thomas Bangalter
Laufzeit: 161 Minuten
Start CH: –
Verleih: Frenetic Films
Weitere Infos bei IMDB[/box]
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©Studio, Verleih



©Studio, Verleih[hr]

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Filed Under: Kino, NIFFF, Rezensionen Tagged With: Enter the Void (2009), Gaspar Noé, Nathaniel Brown, Paz de la Huerta

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