von Severin Auer
Am 8. Internationalen Festival für Animationsfilm Fantoche in Baden gibt es vom 7. – 12. September wieder zahlreiche Kurz- und Langfilme zu sehen. (Das Programm mit den Spielzeiten kann man online abrufen. Auch der Vorverkauf hat bereits begonnen.) Der Internationale und Schweizer Wettbewerb präsentiert sich gewohntermassen als Wundertüte voller mehrminütiger Kurzfilme. Was einen genau erwartet, lässt sich im Voraus nicht wirklich abschätzen. Das Programm der Langfilme liest sich entsprechend schon viel aufschlussreicher:
Der Zeichentrickfilm L’Illusionniste ist im französischen Teil der Schweiz bereits im Juni in den Kinos gezeigt worden. Am Fantoche findet jetzt die deutschschweizer Premiere statt. Der Film basiert auf einem unverfilmten Drehbuch von Jacques Tati (Playtime). Spieldaten: 9.9., 20:45h / 11.9., 22:45h / 12.9., 15:30h, Tickets.
Sylvain Chomet – GB/FR 2010 | F/d
Monsieur Tatischeff, Magier aus Paris, verlegt sein Aktionsfeld magnels Arbeit auf die britische Insel und erlebt dort so manches Abenteuer. Gespickt mit typischen Tati-Elementen, wie dem fast gänzlichen Verzicht auf Dialoge, linkisch wirkendem Slapstick und subtilem Humor, überzeugt «L’Illusionniste» in einer grossartigen visuellen Umsetzung.
Mit Fantastic Mr. Fox steht ein Stop-Motion-Film auf dem Programm, der dieses Jahr mehrfach für eine Auszeichnung nominiert war, aber auch an der Oscarverleihung gegenüber Pixars Up den Kürzeren zog. Spieldaten: 10.9., 22:45h / 12.9., 13:30h, Tickets.
Wes Anderson – US/GB 2009 | E/d
Nach einigen Jahren harmonischen Familienlebens geht Foxy wieder heimlich auf die Jagd. Des Nachts schleicht er sich in fremde Stallungen und Keller und bringt damit die gesamte Tiergemeinschaft in höchste Gefahr. Die liebevoll gestalteten Pelzfiguren wurden in klassischer Stop-Motion zum Leben erweckt, womit Wes Anderson in seinem animierten Erstling ein ganz besonderer Augenschmaus gelungen ist. Zwei Spezialisten aus seinem Team bieten zudem in einer «Making-of» Session Blicke hinter die Kulissen von «Fantastic Mr. Fox».
In Frankreich ist Kérity, la maison des contes seit April 2010 auf DVD erhältlich und wird diesen Sommer im frazösischsprachigen Raum in Open-Air Kinos gezeigt. Schön, dass man die Geschichte, die aufgrund der Synopsis mitunter an The Pagemaster (1994) und Michael Endes “Die unendliche Geschichte” erinnert, in Baden zu sehen bekommen wird. Spieldaten: 8.9., 12:00h / 10.9., 18:30h / 12.9., 15:30h, Tickets.
Dominique Monféry – FR/IT 2009 | F/d
(Un-)sinnigerweise erbt der leseschwache Nathanaël eine gesamte Bibliothek. Zunächst weiss er nicht, was er mit all den Büchern anfangen soll, bis ihm auf einem Streifzug durch die Bücherregale Rotkäppchen, der gestiefelte Kater und Alice im Wunderland in Haut und Haar begegnen. Die wichtigste Mission im Leben des Jungen steht an, für die er im Wettlauf gegen die Zeit seine eigenen Ängste ablegen muss. Die behutsame zeichnerische Umsetzung der Reise durch die Geschichte des klassischen Märchens bietet visuell Genuss für Gross und Klein!
Tarik Saleh war letztes Jahr höchstpersönlich am Fantoche zugegen. Direkt vom Filmfestival in Venedig angereist, plauderte über seinen Werdegang und darüber, wie sein Film zustande kam. In seiner vollen Länge gab es Metropia aber erst im Juli im Open-Air Kino am NIFFF 2010 zu sehen. Spieldaten: 8.9., 22:45h / 10.9., 20:45h / 12.9., 17:15h, Tickets.
Tarik Saleh – SE 2009 | Swe/e
Seitdem Roger das Fahrrad zerstört worden ist, muss der Call-Center-Agent aus Stockholm die verhasste Metro benutzen. Plötzlich ist er nicht mehr allein und sein persönlicher Krimi beginnt. Eine fremde Stimme, die seine geheimsten Ängste und Wünsche kennt, hat sich in seinem Kopf eingenistet. «Metropia ist zugleich Science Fiction und Porträt unserer Gesellschaft. Visuell ist der Film absolut einzigartig – ein waghalsiger Mix aus schön und unheimlich, künstlich und vertraut, lebendig und unterkühlt.
Selbst ist der Mann. Der Japaner Hideto Nakata hat den Stop-Motion-Film Elemi alleine realisiert. Als nächstes Projekt möchte er “alles” machen ausser ein Sequel zu Elemi. Gebt ihm ein grosses Budget und ein paar Mitarbeiter und er wird in Zukunft noch detailliertere Filme realisieren. Spieldaten: 9.9., 22:45h / 11.9., 12:00h, Tickets.
Hideto Nakata – JP 2009 | Jap/e
In «Elemi» erzählt Hideto Nakata die Geschichte der ungewöhnlichen Liebe zwischen der jungen «Telefonmastin» Elemi und ihrem Mechaniker Takahasi. Die von Hand gefertigten Puppen agieren in einer erstaunlich detailgetreuen Umgebung und durch sorgfältige Animation wie Menschen und stehen mit ihrer Machart in Kontrast zu der wunderbar skurrilen Leinwand-Story. Mehr über den Film und seinen Macher, welcher während acht Jahren den Film von A bis Z alleine realisiert hat, könnt ihr im «Making-of» zu «Elemi» erfahren!
Es müssen nicht immer Märchenwelten sein. Liu Jian wird mit Piercing I gegenüber ihrem Heimatland China gesellschaftskritisch. Spieldaten: 8.9., 20:45h / 9.9., 22:45h / 11.9., 18:30h, Tickets.
Liu Jian – CN 2009 | Chin/e
In seinem ersten animierten Langfilm erzählt Liu Jian die Geschichte eines jungen Chinesen, der irrtümlich eines Verbrechens beschuldigt wird und seine Arbeit verliert. «Piercing I» ist eine beeindruckende Schilderung der aktuellen sozialen Zustände in China. Hinter schnörkelloser Ästhetik und schwarzem Humor verbirgt sich Kritik und Ekel vor einer Gesellschaft, in der Diskriminierung, Gewalt und Korruption Normalität sind und sich das Leben von Minderbemittelten ausweglos zeigt. Ein bemerkenswertes Zeitdokument.
Neben dem weltoffenen Blick auf aktuelle Animationsfilme, präsentiert das Fantoche mit dem Programmpunkt “Märchen Langfilme” einen besonderen Augenschmaus. Wann kann man denn schon Disneys Klassiker Schneewittchen auf einer grossen Leinwand begutachten.
Spieldaten: 8.9., 18:30h / 11.9., 20:45h / 12.9., 15:30h, Tickets.
Walt Disney, David Hand – US 1937 | D
«Snow White and the Seven Dwarfs» ist nicht nur die schönste Märchenverfilmung von Walt Disney, er ist auch der erste abendfüllende und ganz in Farbe hergestellte Zeichentrickfilm. Ein Klassiker, der einige Jahrzehnte auf dem Buckel hat, doch das steht ihm ausserordentlich gut: Disneys Schneewittchen ist noch immer der Inbegriff aller Schneewittchen, die putzigen Zwerge sind so drollig wie eh und je und die Melodien gehören wohl zu den gefährlichsten Ohrwürmern aller Zeiten: «Heigh ho, heigh ho, it’s home from work we go … »
Wenn man beim japanischen Animationsfilm nach märchenhafter Unterhaltung sucht, ist Hayao Miyazaki die Referenzadresse. Letztes Jahr konnte man sein neuestes Werk Ponyo on the Cliff by the sea bestaunen, welches sich lose an Andersens Märchen “Die kleine Meerjungfrau hält”. Dieses Jahr wird Miyazaki mit seinem herzigen Kinderfilm My Neighbor Totoro (1988) vertreten sein. Spieldaten: 8.9., 20:45h / 9.9., 12:00h / 11.9., 20:45h, Tickets.
Hayao Miyazaki – JP 1988 | Jap/e/d
Meister Hayao Miyazakis «Tonari no Totoro» verführt uns in die wundersame Welt zweier Mädchen, die mit dem Umzug aufs Land so manches Geheimnis ihrer neuen Umgebung entdecken. Besonders die Begegnung mit dem drolligen Totoro, einer riesigen Mischung aus Hase und Katze, lassen die Geschwister das Bangen um die kranke Mutter zeitweilig vergessen und die wunderlichsten Abenteuer erleben. Obwohl nie in den Schweizer Kinos gezeigt, ist dieser Film mit seinen kulleräugigen Figuren im detailgetreuen Universum eines der schönsten Werke Miyazakis.
Eine Präsentation des Internationalen Festivals für Fantastischen Film (NIFFF), Neuchâtel
Grossartig! Le Roi et l’Oiseau, ein Meisterstück. Der französische Zeichentrickfilm stammt aus dem Jahr 1980 und lässt sich durchaus als eine Mixtur von klassischem Disney und frühem Miyazaki beschreiben. Zu sehen gibt es den Film im deutschsprachigen Raum kaum bis nie, nicht einmal im Fernsehen ist er vertreten, die DVDs ausverkauft. Pflichtprogramm! Spieldaten: 10.9., 20:45h / 11.9., 15:30h / 12.9., 17:15h, Tickets.
Paul Grimault – FR 1980 | Fr: F/e und Sa, So: D
Es war einmal ein schielender König, ein Tyrann, der leidenschaftlich der Jagd und dem Kunstsammeln frönte. Neben unzähligen Porträts seiner selbst – ohne Sehstörung, versteht sich – hing in seiner Galerie das Bild einer hübschen Schäferin, vor welchem der Einsame stundenlang schmachtete. Eines Nachts jedoch entfloh die Schöne ihrem Bilderrahmen und brannte mit einem Schornsteinfeger durch. Eine Fülle reizvoller Details und eine superb animierte, eigenständige visuelle Erzählweise machen diesen Film zu einem unvergleichlichen Klassiker.
Disney’s Schneewittchen wird zwar als erster abendfüllender Zeichentrickfilm gehandelt, doch mit Die Abenteuer des Prinzen Achmed gab es bereits 1926 einen animierten Langfilm. Der Scherenschnitt-Silhouettenfilm stammt aus Deutschland und wurde in aufwändiger Handarbeit hergestellt. Spieldaten: 11.9.: 20:45 / 12.9., 12:00h, Tickets.
Lotte Reiniger – DE 1926 | ohne Sprache
Das atemberaubend schöne Märchen nach Motiven aus «1001 Nacht» war 1926 der erste animierte Langfilm der Filmgeschichte. Lotte Reiniger fertigte während drei Jahren etwa 250’000 Einzelbilder, von denen schliesslich nur ein Drittel im Film Verwendung fand. Mit ihrer von fernöstlichen Schattenspielen inspirierten Silhouettentechnik und der Animation der filigranen Figuren durch Walter Ruttman schaffte sie mit der Schere ein unvergleichbares Werk voller Poesie. Dieses wird live von den Musikern Marius Peyer (Perkussion), Ephrem Lüchinger (Piano, Keyboards) und Thomi Geiger (Saxofon, Klarinette) in ein feines musikalisches Netz gehüllt.
In den letzten Jahren hat man fast etwas vergessen, dass in Tschechien einmal eine Hochburg der Animationsfilmer war. Jiří Trnka ist für den Puppentrick das, was Disney für den Zeichentrick und Osamu Tetsuka für den Anime ist. Mit Bajaja hat er ein Märchen für Kinder geschaffen. Spieldaten: 9.9., 20:45 / 10.9., 12:00h, Tickets.
Jiří Trnka – CZ 1950 | ohne Sprache
Jiří Trnka erzählt in seinem ersten abendfüllenden Film die Geschichte eines Bauernjünglings, der als Sänger an einen königlichen Hof gelangt und die drei Königstöchter aus den Klauen übler Drachen rettet. «Bajaja» hat die Puppenanimation weltweit geprägt. Hauchzarte Stimmungen, originelle Musikalität und Farbgebung sowie eine souveräne Kameraführung lassen die minimalistischen Puppen lebendig wirken. Das Tempo mag für heutige Gewohnheiten besonnen wirken, die plastische Kraft der Inszenierung bleibt jedoch von zeitloser Klasse.
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