En ganske snill mann (2010)![]() Land: Norwegen Regie: Hans Petter Moland Drehbuch: Kim Fupz Aakeson Personen u. Darsteller: Stellan Skarsgård, Bjørn Floberg, Gard B. Eidsvold, Jorunn Kjellsby, Bjørn Sundquist, Jon Øigarden, Kjersti Holmen, Jan Gunnar Røise, Julia Bache-Wiig, Aksel Hennie, u.a. Kamera: Philip Øgaard Schnitt: Jens Christian Fodstad Musik: Halfdan E Laufzeit: 105 Minuten Kinostart: 02.12.2010 Verleih: Xenix Film Weitere Infos bei IMDB |
Vom Gefängnis ins Kellerloch
von Severin Auer
Stellan Skarsgård brilliert in der Rolle des nach zwölf Jahren entlassenen Häftlings, der gegen den erneuten Abstieg und falsche Freunde kämpft. Zwischen Drama und schwarzer Komödie angesiedelt, punktet der Film mit Skarsgårds Mimenspiel und pointierten Dialogen in skurrilen Situationen.
Zwölf Jahre sass Ulrik (Stellan Skarsgård) hinter Gittern. Verurteilt wegen Mord. Mord aus Eifersucht. Heute wird er entlassen. Ein Neuanfang für Ulrik, der von den grauen, aber schützenden Mauern ausgespuckt wird, in eine kalte, lärmige Welt voller Matsch und Schnee. Er ist ein ruhiger Zeitgenosse. Wortkarg, mit dünnem, langem Haar, rundem Bauch und furchigem Gesicht. In seinem Stammlokal ist das Rauchen mittlerweile verboten. Sein Sohn ist erwachsen geworden, wartet auf die Geburt seines ersten Kindes und erzählt seiner Freundin, der Vater sei tot. Aber nicht alles hat sich verändert: Ulriks einzige Freunde, der Gangsterboss Rune Jensen (Bjorn Floberg) und dessen Handlanger Rolf (Gard B. Eidsvold), geben noch immer das hyperaktive, ungleiche Paar. Vordergründig hilfsbereit und verständnisvoll, in Tat und Wahrheit aber nur auf den eigenen Vorteil bedacht. Mit seiner kriminellen Vergangenheit ist Ulrik aber froh, dass sie bereits eine Bleibe und einen Job für ihn gefunden haben. Man merkt, im Gefängnis ist er sehr genügsam geworden: Sein neues Zuhause ist ein schäbiges Kellerloch und gleicht seiner früheren Zelle – mit dem markanten Unterschied, dass er hier unfreiwilligen Damenbesuch bekommt. Die einsame und hässliche Besitzerin empfängt ihn kühl und reicht ihm anfänglich nur das selbstgekochte Essen. Als ihr muffiger Slip eines Abends auf dem Boden landet, ist klar, dass Ulrik als Gegenleistung einen ganz anderen Appetit stillen soll. Es folgt eine der unerotischsten Beischlafszenen der Filmgeschichte. Unter lautem Stöhnen des weiblichen Parts, vollzieht Ulrik mechanisch den Akt. Überhaupt hat Ulrik trotz seines dürftigen Aussehens eine anziehende Wirkung auf Frauen. Ein Besuch im Imbiss seiner Exfrau endet nach einem hinuntergeschlungenen Burger in einem Quickie, und die Sekretärin im Mechanikerbetrieb hat ebenfalls ein Auge auf den Ex-Häftling geworfen. Ein normales Leben sieht anders aus, aber genau das wünscht sich Ulrik. Noch lässt er vieles mit sich machen, ohne zu murren. Doch der geregelte Tagesablauf unter ständiger Beobachtung, das konditionierte Gehorchen aus Gefängnistagen verfolgt ihn. Sein altes Leben holt ihn endgültig wieder ein, als Rune verlangt, dass Ulrik den Mann erschiesst, der ihn damals hinter Gitter brachte. Gerechtigkeit sei das. Den Sinn für Gerechtigkeit hat Ulrik aber definitiv nicht verloren. Langsam beginnt er, sich den Winter aus den Kleidern zu schütteln und blickt am Ende sogar in die Frühlingssonne.
Die Entlassung eines gealterten Mannes aus dem Gefängnis, der sich in der modernen Welt erst einmal zurechtfinden muss, ein neues Leben beginnen will und nach dem Sinn seines Daseins fragt: Das Thema ist bekannt. En ganske snill man lockert den ernsthaften Einstieg mit skurrilen Charakteren auf und offenbart sich als gelungene schwarze Komödie, die durch trockene Dialoge und die vielsagende Mimik des Hauptdarstellers zu unterhalten weiss. Komisch ist dabei vor allem Ulriks Umwelt: seine Gangsterkollegen, die darüber streiten, ob Zufall und Glücksgriff dasselbe sind, oder der nervöse Automechaniker, der Ulrik dringend rät, die Finger von der Sekretärin zu lassen. Obwohl der Plot gängigen Mustern folgt, kann er auch in tragischen und dramatischen Momenten überzeugen. Ulriks Freude über den Kontakt zu seinem Sohn ist herzergreifend und die spätere Zurückweisung der Familie, die ihn an seiner Daseinsberechtigung und an seinen Plänen für einen Neustart zweifeln lässt, auch für den Zuschauer bewegend. Dass für ihn gerade mit der unerwarteten Geburt seines Enkels ein neues Leben beginnt, mag kitschig wirken, die Hinführung zu dieser Erlösung, die in einer früheren Szene mit einem Zahnpasta-verschmierten Mund beginnt, ist hingegen dramaturgisch stark. Ulrik ist der tragische Clown, der sein Leben endlich selbst in die Hand nimmt, sich euphorisch aus der Manege verabschiedet, dann aber – mit zu hohen Erwartungen – über die zu grossen Schuhe stolpert und hart auf dem Boden aufschlägt. „Ein Mann von Welt“, brillant gespielt von Stellan Skarsgård, und ein weiterer starker skandinavischer Beitrag mit bittersüssem, trockenem Humor, der schon an der Berlinale 2010 den Publikumspreis gewann.
©Xenix Film
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