Schlampige Ersatztochter
von Severin Auer
Auch wenn sich Regisseur Jake Scott für einige Szenen etwas viel Zeit lässt und keine Überraschungen für den Zuschauer bereithält: In diesem sentimentalen Drama über Verlust und Überwindung von Selbstmitleid überzeugt besonders das Zusammenspiel von Twilight-Star Kristen Stewart und Ex-Mafia-Boss James Gandolfini.
Am Hauseingang prangt ein idyllisches Schild mit dem einladenden Schriftzug „Welcome to the Rileys“. Alles Fassade. Seit dem Unfalltod der 15-jährigen Tochter vor zehn Jahren kämpfen Doug und Lois Riley mit dem schweren Schicksalsschlag. Die Trauer können sie nicht überwinden. Statt näher zusammenzurücken, lebt sich das verheiratete Paar immer weiter auseinander. Geplagt von einer Agoraphobie wagt Lois kaum mehr einen Schritt aus dem Haus, pflegt das konservierte Zimmer der Tochter und ertrinkt nur darum nicht in ihrer Trauer, weil sie nach aussen die perfekte Hausfrau darzustellen sucht. Doug hingegen tröstet sich mit einer Affäre und gönnt sich so jeweils einige vergnügliche Stunden, bevor er spät nachts wortkarg zu seiner Frau ins Bett fällt. Als er eines Tages die beiden Grabsteine entdeckt, die Lois in pessimistischer Voraussicht neben dem Grab der Tochter errichten liess, ist er schwer verletzt. Schliesslich ist er noch nicht tot. Während einer Tagung für Klempner im fernen New Orleans flüchtet er vor belanglosem „Stop&Chat“ mit Berufskollegen, kommt ins Grübeln und merkt, dass er die Hoffnung auf ein erfülltes Leben längst begraben hat. Dabei wäre er doch ein Mann, der die Dinge anpackt und gerade biegt, sind sie in Schieflage geraten. Eher zufällig macht er Bekanntschaft mit der jugendlichen Stripperin Mallory, die ihn als Cop zu enttarnen glaubt und flüchtet. Als sich die beiden abends erneut über den Weg laufen, kommen sie ins Gespräch. Während das Mädchen den freundlichen Herrn als potentiellen Kunden zu sich nach Hause einlädt, erinnert sie Doug an seine Tochter – Mallory weckt väterliche Gefühle in ihm. Er beginnt sich sorgsam um das orientierungslose Mädchen zu kümmern, renoviert das abbruchreife Haus und bringt ihr Manieren bei. Ohne zahlreiche Konflikte und Missverständnisse geht das natürlich nicht. Dougs Frau bangt währenddessen um ihre Ehe und sieht nun ihrerseits die Chance, endlich das Haus zu verlassen und ebenfalls nach New Orleans zu reisen…
Ein ungleiches Paar. James Gandolfini und Kristen Stewart bewegen sich fernab irgendwelcher Typecasting-Fallen und trumpfen dabei mit grosser Leistung auf. Statt den kaltblütigen Mafia-Boss (The Sopranos) mimt Gandolfini hier den unglücklichen, vom Schicksal gebeutelten Ehemann und Vater, der beharrlich gesittete Verhältnisse in das schäbige, einsame Leben der Stripperin zu bringen versucht. Twilight-Star Kristen Stewart hat den frechen Teenager zwischen Sex und Drogen zwar schon in The Runaways gegeben, kann hier aber erneut eindrücklich beweisen, dass sie mehr drauf hat, als nur mit Schmollmund in die Kamera zu gucken. Die beiden Hauptdarsteller harmonieren grossartig, wobei das Gleichgewicht auch mit dem Eintreffen von Lois – ebenfalls toll: Melissa Leo (Frozen River) – nicht gestört wird. Im Gegenteil, erst dann, das Dreiergespann vor sich, scheint die Familie komplett. Eine Prostituierte unter guter Führung? Kitschig und wenig überraschend, könnte man kritisieren, dafür umso glaubwürdiger und einfühlsamer vorgetragen. Regisseur Jake Scott – Sohn von Altmeister Ridley Scott – weiss geschickt die Balance zwischen Happy End und traurigem Abschied zu halten. Sein Drama wirkt, obwohl aus bekannten Elementen zusammengesetzt, niemals offensichtlich konstruiert, fängt die sentimentale, aber auch hoffnungsvolle Stimmung hervorragend ein und zaubert dem Zuschauer hie und da ein Lächeln auf die Lippen. Auch wenn sich Scott manchmal im Bild verliert und zu lange in einigen Einstellungen verharrt, auch wenn er sich Zeit lässt mit dem Abschliessen einer Handlung und mindestens einmal doch dem Kitsch verfällt – entdeckt Lois im Nachthemd frisches Gras und den Sternenhimmel -, mit Welcome to the Rileys ist ihm ein insgesamt stimmiger und berührender Film gelungen, der vom Überwinden des eigenen Selbstmitleids, vom Neubeginn und vom Wiederentdecken vergessener Momente erzählt.
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Welcome to the Rileys (2010)
Deutsch: –
Land: USA, Grossbritannien
Regie: Jake Scott
Drehbuch: Ken Hixon
Schauspieler: James Gandolfini, Kristen Stewart, Melissa Leo, Joe Chrest, Ally Sheedy, Tiffany Coty, Eisa Davis u.a.
Kamera: Christopher Soos
Schnitt: Nicolas Gaster
Musik: Marc Streitenfeld
Laufzeit: 110 Minuten
Start CH: 03.02.2011
Verleih: Look Now!
Weitere Infos bei IMDB[/box]
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©Look Now!
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