Sucker Punch![]() Land: USA, Kanada Regie: Zack Snyder Drehbuch: Zack Snyder, Steve Shibuya Darsteller: Emily Browning, Abbie Cornish, Jena Malone, Vanessa Hudgens, Jamie Chung, Carla Gugino, Oscar Isaac, Jon Hamm, Scott Glenn, Richard Cetrone, Gerard Plunkett, u.a. Kamera: Larry Fong Schnitt: William Hoy Musik: Tyler Bates, Marius De Vries Laufzeit: 110 Minuten Kinostart: 31.03.2011 Verleih: Warner Bros. Pictures. All Rights Reserved Weitere Infos bei IMDB |
Provozierendes Delirium der Sinne
von Sarah Stutte
Mit einer düsteren Fabel über die Unterdrückung von Frauen meldet sich Zack Snyder, nach dem letztjährigen “Legend of the Guardians”, auf der Kinoleinwand zurück. Bildgewaltig wie immer, lässt er fünf Insassinnen einer Klapsmühle in drei räumlich und zeitlich voneinander getrennten Welten gegen fiese Anstaltspfleger, ebensolche Bordellbesitzer, riesige Drachen und untote Nazis kämpfen. Sein Film sprengt damit visuell, storytechnisch und genrespezifisch alle Konventionen, bedient oberflächlich zwar die auf der Hand liegenden Bedürfnisse, ist aber eine Kritik daran.
1955, irgendwo in den USA: Als die kranke Mutter der 20-jährigen Babydoll (Emily Browning) stirbt, fühlt sie sich alleine für ihre kleine Schwester verantwortlich. Bald will der cholerische Stiefvater der jüngeren Tochter im Suff an die Wäsche, woraufhin Babydoll zu Hilfe eilt und ihn mit einer Waffe bedroht. Da aber löst sich ein Schuss und die Schwester sinkt tödlich getroffen zu Boden. Babydoll wird daraufhin als hochgradig gewalttätig befunden und in eine Irrenanstalt für Frauen eingeliefert. Hier schikaniert der Pfleger Blue Jones (Oscar Isaac) die Insassinnen Sweet Pea (Abbie Cornish), Rocket (Jena Malone), Blondie (Vanessa Hudgens) und Amber (Jamie Chung) nach Belieben und führt verbotene Lobotomien an ihnen durch. Bevor auch Babydoll dieses Schicksal erleidet, findet sie einen kurzweiligen Ausweg aus ihrer Misere: Sie träumt sich in eine Parallellwelt. Weit gefehlt aber wer denkt, dass dort die Erlösung wartet: Denn das Mädchen landet in einer Szenerie, in der sie zur Prostitution gezwungen werden soll. Blue ist in dieser Fiktion als brutaler Bordellbesitzer zugange, während Babydolls Leidensgenossinnen als Striperinnen auftreten. Um auch diesem Martyrium zu entfliehen, beginnt Babydoll unter der Leitung ihrer als Choreografin wahrgenommenen Therapeutin Dr. Vera Gorski (Carla Gugino), einen hypnotischen Tanz vorzuführen. Dieser ermöglicht der jungen Patientin in eine dritte Ebene abzutauchen, die ihr zurück in die Realität und endgültig raus aus der Psychoklinik helfen soll. Gemeinsam mit den anderen Mädchen kämpft sie dort mit Schwertern, schwerem Geschütz und viel Kampfgeschrei gegen Drachen, Zombiesoldaten und Cyber-Roboter. Fünf Missionen muss die weibliche Söldnertruppe im Auftrag eines Mannes, der sich nur der Weise nennt (Scott Glenn), bestehen. Fünf Objekte (einen Plan, ein Feuerzeug, ein Messer, einen Schlüssel und ein geheimes Objekt) gilt es dabei für die gemeinsame Freiheit zu besorgen…
In Personalunion schreitet Zack Snyder – der sich offenbar vorgenommen hat, die optisch trübe Kinolandschaft jährlich mit mindestens einem visuellen Highlight aufzupeppen – in seinem ersten nichtadaptieren Werk zur Tat. Als Regisseur, Drehbuchautor und ausführender Produzent hat er sein diesjähriges Kunstwerk Sucker Punch (zu Deutsch: unterwarteter Schlag) erdacht und haut seine Zuschauer damit buchstäblich aus den Schuhen. In erster Linie gelingt ihm dies mit einem atemberaubenden und einmaligen Bilderrausch – passend finstere Farbgestaltung inklusive –, der die packenden Actionsequenzen auf Hochglanz poliert in Szene setzt. Ebenso aber: mit einem coolem Soundtrack. Krachende Coverversionen von Hits wie Eurythmics “Sweet Dreams”, Pixies “Where is My Mind” (beide Songs von Hauptdarstellerin Browning gar selbst geträllert) und einer von Skunk Anansie und Björk gemeinsam eingespielten Version von “Army of Me” schaffen es, das Geschehen zu jeder Sekunde glänzend zu untermalen. Zugleich hat Snyder auch inhaltlich einiges mitzuteilen, denn sein Film ist gespickt mit geschickten Verweisen, die die verschiedensten Deutungen zulassen. Sucker Punch ist einerseits der weibliche Gegenpart seiner herrlich überzeichneten Comicvisualisierung 300 , beinhaltet gleichzeitig aber auch die Weiterentwicklung des bitter-ironischen Untertons von Watchmen. Und auch wenn in Sucker Punch Anleihen zu ähnlichen Identitätskrisenfilmen wie Conception oder Shutter Island vorhanden sind, setzt er sich mit seiner eigenen Doppeldeutigkeit doch deutlich von genannten Filmen ab. Oberflächlich wirkt er mit den ideenreichen Action-Sequenzen kindlich-verspielt und wirft durch die klischierte Figurenzeichnung einen durch und durch voyeuristischen Blick auf die Frau. Darunter aber deckt er auf absolut ehrliche und entwaffnende Weise die Mechanismen einer ausschliesslich für Männer geschaffenen Entertainmentindustrie auf und stellt unser aller Realitätsverständnis damit grundlegend in Frage. Genauso wie Sweat Pea oder Blondie ist Babydoll anfangs ein namenloses Wesen, das mit einer zuckersüssen Bezeichnung erst neu erschaffen werden muss, um dann als fleischgewordene Unschuld in drei unterschiedlich marchialischen Systemen unterdrückt zu werden. Diese Systeme bauen dabei konsequent aufeinander auf: Durch die surreale Flucht aus der Irrenanstalt rettet Babydoll erst das einzige Mittel, das ihr als Gegenwehr bleibt: ihren Verstand.
Bereits in der tanzbaren Bordellwelt verfügt sie über mehr Kraft, namentlich die erotische Macht über Männer. Auf einer dritten, maskulinen Ebene, die aufgrund ihrer eintönigen und rauen Gestaltung sowie der reinen Ballerei nicht von ungefähr an einen Ego Shooter denken lässt, stellt sie sich den Herren der Schöpfung schliesslich buchstäblich mit deren eigenen Waffen in den Weg. Dieser letzte Sprung in ein männliches Videospielgehirn wird zum bewusst gesetzten Anachronismus. Die Bedrohung der Lobotomie in einem 50er-Jahre Klima ist nicht zeitlich, sondern kontextuell gleichzusetzen mit Babydolls baldiger Entjungferung, während die sexualisierte Betrachtungsweise einer Bordellwelt auch in der heutigen Game-Industrie ihren Platz findet. Bitter schmeckt die Tatsache, dass die Freiheit, die die Frauen sich erkämpfen wollen, eine Illusion bleibt. Die scheinbar emanzipierten Mädchen wirken mit ihren Waffen in der Hand zwar unendlich tough, dienen mit ihrem knappen Outfit im Lolita-Stil als Variation Lara Crofts aber nur ein weiteres Mal als Lustobjekt und Spielzeug. Letztendlich bedienen die Männer die Controller, haben die Fäden in der Hand.
Versucht Zack Snyder hier clever mit feministischen Mythen der Neuzeit aufzuräumen, macht er jedoch einen entscheidenden Fehler: Seinen weiblichen Figuren gibt er viel zu wenig Format und lässt sie damit schablonenhaft in der angestaubten Ecke stehen, aus der er sie eigentlich holen wollte. Die einzelnen Charaktere berühren nicht; ob sie ihren Kampf schlussendlich gewinnen oder verlieren, spielt für den Zuschauer keine Rolle. Die dünne Figurenzeichnung lässt selbst prinzipiell gute Schauspielerinnen wie Emily Browning, Jena Malone und Abbie Cornish blass aussehen und gibt Teeniestars wie Vanessa Hudgens und Jamie Chung keine Chance, sich auch mal von einer anderen Seite zu zeigen. Einzig Carla Gugino als Dr. Gorski und Oscar Isaac als Blue Jones können mit ihrem differenzierten Spiel punkten, während Scott Glenn als gottähnliche Vaterfigur, eine Glückskeksweisheit nach der anderen zitierend, witzigerweise an den gutmütigen Meister Shifu aus Kung Fu Panda erinnert. Einen weiteren halben Minuspunkt gibt es dafür, dass die Bordellebene, im Vergleich zur bombastischen Zockerwelt, ein wenig arg spannungsarm geraten ist und quasi nur als Stichwortgeber für die verschiedenen Missionen herhalten muss. Dafür wiederum weiss das Ende zu überraschen und ist gut durchdacht, weil ein schon früher verstecker Hinweis auf den finalen Twist nun ebenso Sinn bekommt, wie die von Snyder gesetzte Schwesternthematik. Die Verbindungen der einzelnen Ebenen stellt Snyder mit kleinen Details her, alles findet sein Pendant. So dient die Bühne der Irrenanstalt zum Beispiel als Therapiemassnahme, während auf dem gleichen Podium in der zweiten Welt ein Theaterstück geprobt wird, welches nochmals den Realitätsverlust unterstreicht.
Insgesamt hinterlässt Sucker Punch einen sehr guten Gesamteindruck, mit kreativen Einfällen en masse, die – fern von Genregrenzen und Erzählstrukturen – eine opulente visuelle Umsetzung erfahren und darüber hinaus eine ernste popkulturelle Botschaft in sich tragen. Am beeindruckendsten ist jedoch, dass es Snyder gelingt seinen ersten Originalstoff so aussehen zu lassen, als hätte er auch diesmal nach einer Buch- oder Comicvorlage gearbeitet. Niemand sonst hat soviel Kino im Kopf.
- © Warner Bros. Pictures. All Rights Reserved
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