„Es ist nicht mehr schön”
von Anne Konz
Im berührenden Drama “Rabbit Hole” erzählt Regisseur John Cameron Mitchell von den Schwierigkeiten eines Ehepaars, über den Tod ihres verunfallten Sohnes hinwegzukommen. Vom Versuch, die Trauer zu bewältigen, die verbindende Sprache wiederzufinden, weiterzuleben und nach vorne zu schauen. Hervorragende Darsteller und ein einfühlsames Drehbuch machen diesen Film zu einer authentischen Beschreibung der Gefühlslagen nach einem traumatischen Erlebnis.
„It‘s not nice anymore“ – nach dem Tod des vierjährigen Danny, der dem Hund der Familie auf die Strasse nachrannte, von einem jugendlichen Fahrer erfasst und tödlich verletzt wurde, ist für Ehepaar Corbett nichts mehr wie zuvor. Bereits acht Monate sind seit dem schrecklichen Ereignis vergangen, doch Becca (Nicole Kidman) und Howie (Aaron Eckhart) können den Tod ihres Sohnes nicht überwinden. Beide gehen auf unterschiedliche Weise mit den Erinnerungen an ihr gemeinsames Kind um und entfremden sich dabei immer mehr. Während Howie jeden Tag ein Video von Danny anschaut und dessen Fotos und Spielzeug stets um sich haben möchte, versucht Becca krampfhaft, jede Erinnerung an Danny wegzuwischen. Ihrer jüngeren, draufgängerischen Schwester Izzy, die ein Kind erwartet, will sie Dannys Kleider geben, seine Schränke räumt sie leer. Doch es bleibt ein komisches Gefühl dabei – das Gefühl der Sprachlosigkeit, die Schwierigkeit, mit dem Tod des Kindes umzugehen, die auch die Bekannten der Familie auf Distanz hält. Einzig Beccas Mutter Nat (Dianne Wiest), die damals selbst ihren Sohn verlor, als er mit 30 an einer Drogen-Überdosis starb, glaubt, dem Paar helfen zu können. Verletzt Becca aber, indem sie einen Unfall mit der selbstverschuldeten Drogensucht und das Schicksal eines kleinen Kindes mit einem erwachsenen Mann vergleicht. Beccas Schmerz scheint unvergleichlich, unendlich und unüberwindbar gross.
Auch die regelmässig besuchte Selbsthilfegruppe – herrlich persifliert – kann den beiden keine neuen Anstösse oder Erleichterung bringen. Becca, vor Dannys Geburt Kunsthändlerin und danach Hausfrau, verkriecht sich den ganzen Tag mit Scheinbeschäftigungen zu Hause, während sich Howie heimlich mit einer Mutter der Selbsthilfegruppe trifft und versucht, bei einem Joint Erleichterung zu finden. Beccas Erstarrung löst sich erst, als sie mit dem jungen Jason Kontakt aufnimmt, der den tragischen Tod von Danny verursacht hat. Ohne ihm Vorwürfe zu machen oder Schuld zuzuweisen, ist das erste, anfänglich wortkarge Gespräch nach der belastenden Zeit der Sprachlosigkeit eine riesige Erleichterung – für beide.
In Rabbit Hole tritt die Tragweite hinter dem Versprechen „in guten wie in schlechten Zeiten“ voll zu Tage – wer sucht sich seinen Partner schon mit dem Gedanken daran aus, wie man in Trauer gemeinsam weitergeht? Gegenseitige Anschuldigungen werden unterdrückt, kommen früher oder später aber zum Vorschein und führen unweigerlich zu Konflikten. Die Corbetts zeigen: Bestehen nach dem Tode des Kindes so unterschiedliche Bedürfnisse, wie mit der Trauer umzugehen ist, droht die Beziehung in die Brüche zu gehen. Mit zurückhaltender Musik und leisen Tönen, aber authentischen Beschreibungen des zähen Alltags der beiden Protagonisten und ihrer Gefühle, schafft es Regisseur John Cameron Mitchell, das Paar in dieser traumatischen Lage zu begleiten und ihre Verzweiflung sichtbar zu machen. Das Drehbuch – für welches David Lindsay-Abaire sein eigenes Broadway-Stück adaptierte – hält nur wenige überraschende Wendungen, aber viele präzise Darstellungen einer emotionsreichen Auseinandersetzung mit der Situation bereit. Alle drei tragenden Personen, Nicole Kidman (mit dieser Rolle für einen Oscar nominiert), Aaron Eckhart und Dianne Wiest, füllen die Figuren und deren Leid auf grossartige Weise mit Leben. Es erscheint unfair, Nicole Kidman wegen ihrer Mainstream-Rollen und angeblicher Botox-Behandlungen eine starre, standardisierte Mimik vorwerfen zu wollen – wo ihre Figur es verlangt, zeigt sie eine riesige Bandbreite an Gefühlsausdrücken, und so gibt es kaum noch Grund danach zu suchen, ob da jetzt eine Falte mehr oder weniger zu sehen ist. Die Nachzeichnung des mittelständischen, amerikanischen Vorstadtmilieus und seiner Bewohner, der Gedanken und dem Umgang jener Menschen, die mit dem tragischen Tod in Berührung geraten, gelingt hervorragend und regt auch nach der Erleichterung, die die Protagonisten gegen Ende des Films in ihrer Trauer erfahren, zum Nachdenken an. Rabbit Hole ist einer dieser Filme, nach deren Abspann man aus dem Kino tritt und sich durch echtes Mitgefühl in seine eigene Beziehungsrealität katapultiert fühlt. Man mag sich natürlich fragen, ob es Rabbit Hole auch mit einer anderen Hauptdarstellerin in die Kinos geschafft hätte – so oder so sei es ihm gegönnt, denn selten wird empathisches Einfühlen in die Figuren eines Films so ermöglicht wie hier.
[kkratings]
[hr]
[box border=”full”]
Rabbit Hole (2010)
Originaltitel: –
Land: USA
Regie: John Cameron Mitchell
Drehbuch: David Lindsay-Abaire
Schauspieler: Nicole Kidman, Aaron Eckhart, Dianne West, Sandra Oh, Jon Tenney
Musik: Anton Sanko
Laufzeit: 91 Minuten
Start: 12.05.2011
Verleih: Filmcoopi
Weitere Infos bei IMDB[/box]
[hr]
©Filmcoopi
©Filmcoopi[hr]
Leave a Reply