The Tree of Life![]() Land: USA Regie: Terrence Malick Drehbuch: Terrence Malick Darsteller: Brad Pitt, Sean Penn, Jessica Chastain, Hunter McCracken, Laramie Eppler, Tye Sheridan, Fiona Shaw, u.a. Kamera: Emmanuel Lubezki Schnitt: Hank Corwin, Jay Rabinowitz, Daniel Rezende, Billy Weber, Mark Yoshikawa Musik: Alexandre Desplat Laufzeit: 139 Minuten Kinostart: 26.05.2011 Verleih: Ascot Elite Film Weitere Infos bei IMDB |
Leben ist relativ, ebenso der Tod
von Severin Auer
Terrence Malicks Hymne an das Leben umhüllt den Zuschauer mit imposanten Bildern und einer eigenwilligen Erzählstruktur. Die Geschichte der Welt und die einer texanischen Familie in den 1950er Jahren werden unkonventionell aus einzelnen Erinnerungsfetzen zusammengesetzt – und wirken doch wie aus einem Guss. Ein Rausch, der Evolution und Kreationismus kollidieren lässt, philosophische und esoterische Ausmasse annimmt, das Kleine als Teil eines grossen Ganzen sieht und die Frage nach der Existenz der Welt als gedachte Wirklichkeit aufwirft. Poetisch und kunstvoll.
Auf Regisseur Terrence Malick lastete grosser Erwartungsdruck. In seiner bald 40-jährigen Karriere war der Texaner mit nur fünf Regiearbeiten wahrlich unproduktiv, seine bisherigen Werke – darunter Badlands (1973) und The Thin Red Line (1998) – aber umso eindrucksvoller. Sechs Jahre hat der medienscheue Malick nun seit seinem letzten Werk The New World verstreichen lassen, bevor er The Tree of Life am diesjährigen Filmfestival in Cannes präsentierte. Die ersten Rezensionen fielen gemischt aus. Viele Kritiker wurden vom Versuch, in einer typisch-texanischen Familie der 50er-Jahre eine universelle Lebensformel zu finden, überrascht und so mancher auch überfordert. Ebenso von der wuchtigen Bilderkraft, der ungewöhnlichen Erzählstruktur und der kruden Mischung aus darwinistischer Evolutionstheorie und spiritueller Suche nach Gott. Einzelne Buh-Rufe soll man bei der Premiere gehört haben, gleichzeitig Applaus. Erste Vergleiche wurden mit Stanley Kubricks 2001: A Space Odyssey (1968) gezogen, der damals einen nicht minder schweren Start hatte, aber ein ähnlich epochales, kryptisches und gleichzeitig emotionales Filmerlebnis lieferte; seine visionäre Kraft ist bis heute unübertroffen. Auf die überbordende Erwartung, die The Tree of Life vor der Premiere entgegen gebracht wurde, folgte also ein kurzzeitiger Dämpfer. Übertönt wurde dieser von der überraschenden Auszeichnung mit der „Goldenen Palme“ in Cannes, vergeben von der Jury um Robert De Niro, Uma Thurman und Jude Law.
Am Anfang steht ein Zitat aus dem Buch Hiob: „Where were you when I laid the earth’s foundation?“ Es ist der Versuch, dem Zweifler den Glauben zu erhalten. Ein Glaube, der mit Jacks (Sean Penn) erlerntem Wissen zunehmend kollidiert und mit der Todesnachricht seines damals 19-jährigen Bruders endgültig herausgefordert wird. Jahre später sitzt er in einem postmodernen, gläsernen Bürokomplex im Jetzt und erinnert sich zurück. Nicht bloss an seine Kindheit – Jack sucht den Anfang von allem. In kosmischen Weiten und Galaxien, in Feuer speienden Vulkanen und Ozeanen. Die Geburt des Universums und des Lebens zeigt Malick als beeindruckenden Bilderrausch, unterlegt mit sakralen Chören. Imposant, berührend und erhaben. Aus Amöben werden Quallen, aus Quallen werden Fische, Fische entwickeln Beine und wandern einst als Dinosaurier auf trockenem Land. Als ein Meteor auf der Erde einschlägt, wird die Evolution unerwartet in neue Bahnen gelenkt. Eine schicksalshafte oder göttliche Wendung? Die Erinnerungen springen in eine texanische Vorstadt der 1950er Jahre. Malick zeigt das Heranwachsen der Söhne eines strengen Vaters (Brad Pitt) und einer von Liebe erfüllten Mutter (Jessica Chastain). Jack lernt laufen, pflanzt einen Baum, tollt mit seinen Brüdern im Garten und bekommt bald schon die strikten Regeln des Vaters zu spüren. Die Kinder: ängstlich und bald rebellisch, besonders Jack, hin- und hergerissen zwischen ersten pubertären Anflügen und der Ehrfurcht vor seinem „Father“ – „Dad“ darf er ihn nicht nennen. Vater und Mutter soll man ehren, sagen die Gebote, aber auch Gott, und so wird am Sonntag die Kirche besucht. Jack aber, in einem unbeobachteten Moment, springt aufmüpfig über die Kirchenbänke und setzt sich über die Regeln der Eltern, der Gesellschaft und der Kirche hinweg.
Es sind Gedankenfetzen von poetischer Schönheit, die Malick mit schwebender, ruheloser Kamera einfängt und fragmentarisch zusammenfügt – einen permanenten Gedankenraum erschaffend, der eine Mischung aus ferner Beobachtung und Anwesenheit zelebriert. Inszeniert als visueller Trip zwischen Bildmontagen aus Natur und intimem Mikrokosmos der Familie. Klassische Erzählregeln werden umgestossen, Dialoge sind rar gesät. Philosophische Fragen werden aus dem Off, vielleicht an Gott, vielleicht ans Universum gestellt. Der Zuschauer denkt und fühlt mit. Es sind Fragen mit spirituellem Ausmass, religiös durchwirkt. Doch es sind auch Fragen, die bei der Reflexion über die eigene Existenz, über die Bedeutung von Leben und Tod und über das Handeln der Individuen unweigerlich in einer Leerschlaufe enden. Gerade weil sie wortwörtlich so unfassbar sind, weil sich der Mensch gerne in Geborgenheit und Sicherheit wägt, Verantwortung überträgt und Gott sich als einfachste Erklärung für das Leben anbietet, gilt es seine Existenz zu beweisen. Aber Malick selbst versucht nicht zu erklären. Malick macht Gedanken sichtbar. Gedanken über Fragen, die an die Grenzen des Verstands gebunden und von so existentieller Natur sind, dass sie Gottesfürchtige wie Atheisten gleichermassen betreffen. Was bin ich? Wer bin ich? Was ist meine Aufgabe?
Der zwölfjährige Hunter McCracken übernimmt als ältester der Brüder Jack die Schlüsselrolle – unglaublich fein gecastet, glaubwürdig und ausdrucksstark. Es ist das Oszillieren zwischen der Ehrfurcht vor Gott, der Furcht vor dem Vater und kindlichem Gott-Spielen, wenn er Frösche an Raketen bindet oder Scheiben einschlägt. Sein Vater kann ihn zwar bestrafen und schlagen, doch Gott kann Leben schenken und Leben nehmen. Aber genau das kann Jack ja auch: Als sein Vater mit Reparatur-Werkzeug unter dem Auto liegt, überlegt er kurz, die Stütze zu verschieben und seinen eigenen Erzeuger – jenen, der ihm biologisch das Leben schenkte – zu zerstören. Doch Jack lässt Gnade walten. Er lässt sich weder von einem Masterplan leiten, noch lässt er seinen Trieben freien Lauf. Eine Eigenschaft, die nach Malick nicht nur menschlich ist, hat er im Prolog doch bereits einen Dinosaurier mit dieser Eigenschaft versehen. Jack ist auf der Suche nach der Position im Universum, nach der eigenen Macht und dem Abgleich zwischen Makro- und Mikrokosmos. Jack bringt Chaos in die Ordnung der Natur und Familie – oder gerade umgekehrt: Ordnung ins Chaos? Er probiert, zeigt sich böse, zeigt sich gnädig. Gegenüber Vater und Bruder, gegenüber Fremden und der Natur. Jack lernt: Individuelle Entscheidungen führen Veränderung herbei, und doch gibt es Ereignisse, die er selbst nicht beeinflussen kann. Die Todesnachricht seines Bruders bestürzt die ganze Familie. Wer führt hier Regie? Gott, Jack oder Malick? Zumindest in seinem eigenen Gedankenraum hat Jack alle Macht. Er erweckt seinen toten Bruder wieder zum Leben und führt die Familie an einem schönen Ort zusammen. Leben ist relativ, ebenso der Tod.
Es ist der Dualismus, der Malicks Werk durchzieht. Darwinismus prallt auf Gnade, Religion auf Wissenschaft, feste Regeln auf freie Entscheidung, Fakt auf Erinnerung, das Leben auf den Tod und der nichtige Mensch auf den allmächtigen Gott. Scheinbar unvereinbar, letztlich komplementär. Jack sucht nach Gott im Kosmos und findet Gott in sich selbst. Die Bilder sind das Werk seines Geistes, im wahrsten Sinne des Wortes Schöpfungsbilder.
The Tree of Life, ein unkonventionelles Filmerlebnis, das die Geister nicht nur wegen seiner Thematik, sondern auch in seiner Ausführung scheiden und zu Diskussionen anregen wird.
- © Elite Film
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