von Daniel Paredes
Vor etwas mehr als einer Woche ist die erste Ausgabe des Basler Filmfests Bildrausch zu Ende gegangen. Nebst 1700 anderen Besuchern waren auch wir vor Ort und können ein positives Fazit ziehen: Eine gute, vielseitige Filmauswahl mit vielen Entdeckungen lassen den Besucher hoffen, dass Basel auch im nächsten Jahr wieder Schauplatz dieses Filmevents wird. Auf der Piazza beim Theater Basel wurden Filmemacher, Experten und Cineasten in einer gemütlichen Atmosphäre vereint. Gespräche konnten an der Kinobar oder an der langen Tafel geführt werden, zugänglich für alle Anwesenden, geladenen Gäste, Journalisten und Neugierige. Bildrausch kennt keine Barrieren, fördert das Zusammensein und ist ungemein “heimelig”.
Weitere Beiträge:
Interview mit Nicole Reinhard und Beat Schneider
Beitrag zu Zoom – Basler Filme im Fokus
Rezensionen zu Filmen (Attenberg, Lollipop Monster, Symbol)
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©Kathrin Schulthess | ©Kathrin Schulthess | ©Adriano A. Biondo |
Cutting Edge: Der Internationale Wettbewerb (von Daniel Paredes)
Es wäre ein schwieriges Unterfangen, die Filme des Wettebewerbs auf einen Nenner zu bringen. Gleich, dass es bei anderen Festivals teilweise möglich ist, ästhetische oder thematische Schwerpunkte herauszukristallisieren: Hier zwanghaft Verknüpfungen zwischen den einzelnen Werken zu suchen, würde dem Grundgedanken des Festivals nicht gerecht werden. Immerhin legt dieses „Festival der Festivals“ das Augenmerk auf Filme, die schon an verschiedensten Orten unter gänzlich unterschiedlichen Prämissen liefen. Hier sucht man aussergewöhnliche Filme fernab des Mainstreams, die eigenwillig erzählen, eventuelle Kontroversen verursachen und sich nicht kategorisieren lassen wollen. Die Suche nach Parallelen und Schwerpunkten ist immer möglich, für einmal aber nicht von grösster Bedeutung. Entsprechend dürfte es nicht einfach gewesen sein, einen Gewinner (prämiert mit einem Preisgeld von 3000 CHF) auszumachen. Dass es schlussendlich Gravity was everywhere back then von Brent Green wurde, deutet nochmal auf die künstlerische Vielfalt hin, die man am Bildrausch Filmfestival vorfand. Obwohl es sich bei diesem Beitrag um den einzigen Stop-Motion-Film im Wettbewerb handelte, war er keinesfalls ein Aussenseiter – alle gezeigten Filme waren irgendwie Sonderlinge. Die Laudatio (nachzulesen: hier) auf den Gewinnerfilm hielt der Schweizer Filmemacher Peter Liechti am Samstagabend im Rahmen der zweiten Basler Filmnacht.
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Gravity was Everywhere Back Then (von Brent Green) | Beat Schneider, Peter Liechti, Nicole Reinhard (v.l.n.r.)©Kathrin Schulthess | Brent Green, Nicole Reinhard©Adriano A. Biondo |
Es gab also einiges zu entdecken. Gerade weil es sich aber um so genannte Nischenfilme handelte, von denen sich einige konventionellen Erzählmustern verweigerten, wurde vom Zuschauer viel abverlangt. Da kommt es vor, dass man Filme entdeckt, die einen nachhaltig beigeistern; mit anderen scheint man sich überhaupt nicht anfreunden zu können, lässt sich von ihnen dennoch zu spannenden Diskussionen hinreissen. Subjektiv als sperrig empfunden wurden zum Beispiel die Filme Karma und Finisterrae (ausgezeichnet mit dem “Tiger Award” beim International Film Festival Rotterdam). Ersterer stammt aus Sri Lanka, handelt von einer Art „ménage à trois“und schien beim Zuschauer ein gewisses buddhistisches Vorwissen vorauszusetzen, um für das Handeln der drei Akteure vollstes Verständnis aufbringen zu können. Zweitgenannter ist eine katalanische Produktion, die von zwei Geistern erzählt, die manchmal zu Fuss, manchmal zu Pferde, immer aber in weisse Laken gehüllt, den Jakobsweg bestreiten. Ein bisschen wurde man dabei an Luis Buñuels La voie lactée erinnert, musste sich davon abgesehen aber viel pseudo-philosophisches Geschwätz (merkwürdigerweise auf Serbisch) anhören und lange, bedeutungsarme Szenen über sich ergehen lassen, bis schliesslich der Höhepunkt folgte: der mündlich vorgetragene Abspann! Auch der portugiesische Beitrag O Barão konnte nicht überzeugen – trotz oder wegen bewusst gewähltem (und von Hauptdarsteller Nuno Melo so angekündigten) Trash-Niveau. Gleichgültig aber, dass sich O Barão zugleich an einer Hommage an den deutschen Expressionismus und an Horror-Stummfilm-Ästhetik versuchte, mit “Dem Baron” – anders als Nosferatu – nicht den Klassiker Dracula neu interpretierte, sondern die Kopie der Kopie gab: Mit seinem Werbeaufdruck “Ein 2D-Film” und der grandiosen Abspann-Szene versprühte er dennoch einen gewissen Charme.
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Karma (von Prasanna Jayakody) | Finisterrae (von Sergio Caballero) | Beat Schneider und Nuno Melo (Schauspieler in O Barao)©Adriano A. Biondo |
Ein Glücksfall hingegen war der griechische Film Attenberg, der einerseits Teil des Schwerpunkts “Neues Griechisches Kino” war, andererseits auch im Wettbewerb lief – womit er sich hervorragend als Eröffnungsfilm eignete (vgl. Rezension). Der Film funktioniert prächtig auf mehreren Ebenen und begeistert durch seine lockere und zugleich tragische Art. El Premio wiederum, eine Koproduktion von Mexiko, Frankreich, Polen und Deutschland, erwies sich als wunderbar gemachter Film über ein Mädchen, das seine Kindheit unter der argentinischen Militärdiktatur erlebt und sich mit seiner Mutter versteckt hält. Filmkritikerin Brigitte Härring leitete den Film mit ihrem informativen Plädoyer stimmig ein und verwies auf wichtige Eckpunkte. Auch der vielleicht spannungsgeladenste Film des Festivals, Essential Killing, wurde mit einem solchen Plädoyer kurz vorgestellt – dieses Mal von der Filmwissenschaftlerin Barbara Wurm. Die sympathischen, persönlichen Kurzvorstellungen haben sich als deutlicher Mehrgewinn erwiesen, ähnlich wie die Q&As mit den Filmemachern, die Festivals herkömmlichen Kinobesuchen schlichtweg voraus haben. Essential Killing vom Polen Jerzy Skolimovski ist rohes, kaltes Auf-der-Flucht-Kino mit einem grandios aufspielenden, schweigsamen Vincent Gallo, der seinen Überlebensinstinkt aktiviert und animalische Züge annimmt. Ein anderer Film, ebenso von Aussenaufnahmen geprägt und mit nicht minder orientierungslosen Hauptfiguren, ist das Western-„Road Movie“ Meek’s Cutoff. Regisseurin Kelly Reichardt ist bekannt für ihre minimalistische Filmsprache, die sie auch hier im 4:3 Format zelebriert. Indem sie ihre ganze Aufmerksamkeit den Figuren und deren Beziehungen widmet, gelingt ihr zugleich einer der authentischsten Western der letzten Zeit. Etwas konventioneller erwiesen sich zwei weitere US-Produktionen: Life During Wartime von Todd Solondz und Road to Nowhere von Monte Hellman. Solondz’ Film gewinnt seine Aussergewöhnlichkeit erst durch ein bestimmtes Zusatzwissen: aus dem Wissen nämlich, dass er als Fortsetzung seines Meisterwerks Happiness gedacht ist. Entsprechend handelt die Geschichte von denselben Figuren, gleich, dass diese von ganz anderen Darstellern gespielt werden. So oder so aber weiss der tragikomische Humor zu gefallen. Road to Nowhere ist seinerseits ein mehrschichtiger Thriller, der von einem jungen Filmemacher – Hellmanns Alter Ego – handelt, der während den Dreharbeiten an seinem neuen Projekt in ein Verbrechen verwickelt wird. Ein Film, der sich erst nach dem Kinobesuch so richtig im Kopf des Zuschauers entfaltet.
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Rachel Tsangari (Attenberg) und Nicole Reinhard©Adriano A. Biondo | Essential Killing (von Jerzy Skolimovski) | Meek’s Cutoff (von Kelly Reichardt) |
Jung und heftig (von Daniel Paredes)
Vom grotesken Schwarzweissfilm und Vorreiter Singapore Sling (1990), über das fiebrig vibrierende Rotlicht-Jugend-Drama From of the Edge of the City (1998), bis hin zum Oscar nominierten Dogtooth (2009) und ganz neuen Beiträgen wie Attenberg und Wasted Youth: Das Neue Kino aus Griechenland ist ein echter Hingucker. Zügellos, jung und politisch sind hier junge Filmemacher am Werk, die gemeinsam an einem Strang ziehen und mit ihren Filmen etwas bewegen wollen. Ob die Finanzkrise, die Griechenland in den Ruin getrieben hat, diese potente, reflektierende „Welle“ beschleunigt oder ob sie die Filmproduktion quasi verunmöglicht hat, war ein spannender Streitpunkt an der Podiumsdiskussion zum aktuellen Griechischen Kino. Fakt scheint hingegen zu sein, dass die Krisensituation zumindest metaphorisch Thema in den aktuellen Filmen ist – und dass es der Filmindustrie nicht gut geht. Keine staatliche Förderung, keine Filmschule, kaum private Investoren. Die Filmemacher sind auf sich selbst gestellt, scheinen jedoch gerade aus dieser Not eine Tugend zu machen. Entsprechend kennt sich der überschaubare Kreis der Regisseure und Cineasten, die miteinander korrespondieren und sich gegenseitig unter die Arme greifen.
Ein geschickter Schachzug war es darum vom Kurator der Reihe und Moderator der Podiumsdiskussion Olaf Möller, die anwesenden Regisseure – Athina Rachel Tsangari (Attenberg), Yannis Ekonomides (Knifer) sowie Argyris Papadimitropoulos (Wasted Youth) und Jan Vogel (Wasted Youth) – zu bitten, nicht sich selbst, sondern die Person – mit dazugehörigem Film – neben sich vorzustellen. Dies hat gut geklappt und das Freundschaftsband untereinander verdeutlicht. Auch wenn man mehrfach auf die prekäre Lage hinwies: Man stellt sich den Problemen gemeinsam und bekannte sich zum Filmemachen im eigenen Land. Selbst dann, wenn man wie Tsangari lange im Ausland studiert hat oder wie Ekonomides als zypriotischer Einwanderer nach Griechenland kam. Ihnen allen liegt es am Herzen griechische Filme zu drehen; in griechischer Sprache und mit der unverkennbar griechischen Mentalität. Auf die nachvollziehbare Frage, ob man denn keine Koproduktionen mit grösseren Filmländern in Erwägung ziehe, kam die einleuchtende Antwort als Gegenfrage: Wie soll eine Koproduktion denn möglich sein, wenn die heimische Produzentenseite ausbleibt? In diesem Sinne hiess es interessanterweise, dass Costa-Gavras kein griechischer Filmemacher sei, sondern ein Grieche, der in Frankreich französische Filme drehe.
Solange diese jungen Wilden an ihren Prinzipien festhalten, ihre Visionen in Bewegtbilder wandeln, das Gesellschaftsgefühl künstlerisch reflektieren und sich gegenseitig als Produzenten, Schauspieler und Koautoren unterstützen, bleibt das Neue Griechische Kino dem geneigten Liebhaber mutiger, europäischer Filme und unverbrauchter Ideen noch ein ganzes Weilchen erhalten.
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Olaf Möller, Athina Rachel Tsangari, Yannis Ekonomides, Argyris Papadimitropoulos, Jan Vogel (v.l.n.r.)©Adriano A. Biondo | Jan Vogel, Yannis Ekonomides, Argyris Papadimitropoulos©Adriano A. Biondo |
Retrospektive: Dušan Makavejev (von Daniel Paredes)
Mit Dušan Makavejevs Meisterwerk Sweet Movie ging das Festival zu Ende. Die Retrospektive auf den jugoslawischen Altmeister hat sich ausgezeichnet ins Festivalprogramm integriert. Nicht nur passten seine Filme genau zum Kerngedanken des Festivals, die zeitliche Komponente, also der Vergleich zwischen subversivem Kino von heute und jenem von früher, bot darüber hinaus einen interessanten Ansatz. Zwar muten Makavejevs freizügige, politische und zumindest in den 60er- und 70er-Jahren provokant-schockierende Filme mittlerweile immer auch amüsant an, ihren Unterhaltungswert verlieren sie dabei jedoch nicht – im Gegenteil. So kann man die Brisanz der Filme im historischen Kontext als Zuschauer sehr gut nachvollziehen. Gleichzeitig regen kommunistische Gesänge, die den weiblichen Körper anbetende Kamera oder die teilweise etwas holprige Montage zum Schmunzeln an.
Dass Makavejev (Jahrgang: 1932) höchstpersönlich mit seiner Frau Bojana zu Gast war und während der Podiumsdiskussion mit Kurator Jurij Meden seine Eloquenz unter Beweis stellte, war einer der Festival-Höhepunkte. In charmantem Englisch erinnerte er sich an Dreharbeiten zum vorher gezeigten Love Affair, erzählte dem gespannt zuhörenden Publikum lustige Anekdoten von gelangweilten Polizisten, der berühmten schwarzen Katze und euphorischen Rattenfängern, und gab angehenden Filmemachern brauchbare Tipps. Schlich sich einmal eine kleine Lücke in seinen breiten Erinnerungsschatz ein oder stimmte ein Detail nicht, schritt seine Frau Bojana ein, die in der ersten Reihe ganz genau mithörte. Auch die Fragen aus dem Publikum wurden von dem filmischen Alleskönner und Harvard-Dozenten souverän und mit einer interessanten Zusatzgeschichte beantwortet. Trotz seiner 78 Jahre funkelte noch immer dieses Spitzbübische, das man so häufig in seinen Filmen findet – etwas zwischen politischem Statement und sexueller Revolution –, in seinen Augen. Entsprechend war wohl auch seine Antwort, er habe so gar nicht mit den heftigen Auswirkungen und Diskussionen seiner Filme gerechnet, mit einem gewissen Augenzwinkern zu verstehen. Wer die Chance ergriff, konnte sich im Anschluss an die Diskussion übrigens ein Autogramm ergattern. Doch selbst da schaute ihm Frau Makavejev ganz genau auf die Finger.
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