Von Schneckenmännern und Engelpimmelchen
von Severin Auer
Auf verrückte Weise fügt der japanische Regisseur und Komiker Hitoshi Matsumoto zwei komplett unterschiedliche Erzählstränge zu einem absurden Finale zusammen, das den als sinnfrei taxierten, aber urkomischen Inhalten Bedeutung zuspricht.
Am besten geht man gänzlich unvorbereitet in einen Film des japanischen Regisseurs und Komikers Hitoshi Matsumoto. Bereits 2007 hat er sich mit der Mockumentary Big Man Japan (Dai Nipponjin) sehr gute Kritiken erarbeitet: Protagonist Masaru Daisato hat darin die Pflicht, Japan vor den Angriffen der Riesenmonster zu schützen und verwandelt sich dafür selbst in einen 30-Meter-Giganten. Matsumoto spielt mit populärkulturellen Themen, ohne dabei auf kritische Töne zu verzichten, und verpackt diese in absurde Situationen, die, in aller Ernsthaftigkeit vorgetragen, erst richtig komisch wirken. In Symbol trägt Matsumoto einen grossen Teil des Films mit seiner clownesken Darbietung selbst. Irgendwo zwischen real gewordener Anime-Figur und talentiertem Komiker-Herz vermag er mit wenigen Worten und mal feiner, mal exaltierter Gestik zu unterhalten, auch wenn der Zuschauer lange Zeit keinen Schimmer hat, welches Spiel hier mit ihm getrieben wird.
Ein Pickup Truck rast auf einer staubigen Landstrasse in den Bildvordergrund, irgendwo in der Pampa Mexikos. Am Steuer eine Nonne. Rauchend und fluchend. Aus den Boxen klingt mexikanische Musik. Eine skurrile Figur, für den Verlauf der Geschichte nur darum von Bedeutung, weil sie den Vater und den Sohn des erfolglosen Wrestlers „Escargot Man“ zu dessen Kampf fahren wird. Währenddessen sitzt eben dieser ruhig und besonnen am Frühstückstisch, seine grüne Spandex-Maske bereits über den Kopf gezogen. Szenenwechsel. In einem leeren Raum liegt ein Japaner (Matsumoto) am Boden, gekleidet in einen bunten Kinder-Pyjama. Keine Fenster und keine Türen sind zu sehen und der arme Mann scheint keinen blassen Schimmer zu haben, wo er sich befindet, geschweige denn zu wissen, warum er in diesem Raum weilt. Seine Fragen verhallen, seine Entschuldigungen für ein mögliches, früheres Fehlverhalten ebenfalls. Bald entdeckt er an der Wand einen kleinen Penis, in derselben Farbe und Beschaffenheit wie der blaue Raum. Natürlich kann er nicht widerstehen und berührt das Ding. Sofort erscheinen unzählige Engelchen, rücken bedrohlich näher, verschwinden irgendwann wieder in der Wand. Einzig ihre kleinen Pimmelchen lassen sie weiterhin in den Raum ragen. Der Mann berührt, drückt, probiert und stellt fest, dass mit jeder Berührung Objekte in den Raum geworfen werden. Essstäbchen, ein Megaphon, ein Tonkrug, ein Bonsaibaum, Sushi, Manga-Bücher und unzählige weitere Gegenstände. Der Protagonist beginnt nach der ersten Ernüchterung nach einem Ausgang zu suchen und merkt bald, dass der Weg nach draussen nur über die Penisse und Gegenstände führen kann. Wie in einem Videospiel beginnt er Objekte und Aktionen miteinander zu verknüpfen, meist nach dem Prinzip Trial & Error. Nicht umsonst läuft dieses Kapitel unter dem Titel „Education“.
Es ist schwierig über Symbol zu schreiben, ohne direkt den ganzen Plot zu verraten. Matsumoto spielt mit dem Zuschauer – dasselbe Spiel, das auch dem Protagonist aufgezwungen wird. So findet man sich in Sachen Sinn- oder Türsuche in einer ähnlichen Situation wie der Pyjama-Mann wieder, obwohl man sich physisch in ganz unterschiedlichen Räumen befindet. Klar ist, dass man den Film in seiner Gesamtheit und bis zum Schluss gesehen haben muss, um Matsumotos wahnsinnige Zusammenführung der Ereignisse miterleben zu können und den titelgebenden „symbolischen“ Sinn zu erfahren, der sich – in wahrlich philosophische Höhen – aus dem scheinbaren Nonsens des Hauptteils stimmig zusammensetzt. Matsumoto hat ein unglaubliches Gespür dafür, Ernsthaftigkeit und Komik miteinander zu verbinden. Allein die Tatsache, dass die Geschichte des Wrestlers und die des Pyjama-Mannes parallel existieren können, ohne sich in der Rezeption des Zuschauers zu bedrängen, ist Beweis genug, dass er zwei scheinbar gegensätzliche Elemente mit Leichtigkeit kombinieren kann. Symbol ist im positiven Sinn eine Herausforderung. Verrückt, bizarr und innovativ.
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Symbol (2009)
Originaltitel: Shinboru
Land: Japan
Regie: Hitoshi Matsumoto
Drehbuch: Hitoshi Matsumoto, Mitsuyoshi Takasu
Schauspieler: Hitoshi Matsumoto, David Quintero, Luis Accinelli, Lilian Tapia, Adriana Fricke, u.a.
Musik:: Yasuaki Shimizu
Laufzeit: 93 Minuten
Start CH: –
Verleih: Shochiku Company
Weitere Infos bei IMDB[/box]
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© Studio, Verleih
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