Wie viel wiegt Ihr Bauwerk, Mr Foster?
von Anne Konz
Diese titelgebende Frage ist neben dem Tod seiner Frau Wendy und der Diagnose seiner Krebserkrankung anscheinend das einzige, was Norman Foster, den Stararchitekten und früheren Royal Air Force-Piloten, jemals aus der Fassung gebracht hat. Von seinem alles überstrahlenden, kometenhaften Aufstieg und worauf dieser gründet, erzählt der Dokumentarfilm leider nur lückenhaft und übertrieben idealisiert.
Die Regisseure Carlos Carcas und Norberto Lopéz Armado kombinieren atemberaubende Architekturaufnahmen – viele davon aus der Luft, von Kameramann Valentín Álvarez eingefangen – mit Episoden aus dem Leben von Norman Foster, die jener selbst erzählt oder die von einigen seiner Mitarbeiter und Freunde vorgetragen werden. So bestechend die architektonischen Bilder und Kamerafahrten sind, so lückenhaft erscheint am Ende des mit 78 Minuten relativ kurzen Dokumentarfilms die Beschreibung der Person Foster. Ausführlich führt der Film dafür Fosters Schaffen vor Augen: In Ausschnitten und unter Aufbereitung ihrer Besonderheiten sowie ihres Pioniercharakters werden dem Zuschauer ein gutes Dutzend seiner Gebäude (so etwa der Hearst Tower in New York City, der Flughafen Chek Lap Kok in Hongkong, die Reichstagskuppel in Berlin, die berühmte „gherkin“ der Swiss Re in London und der neue Pekinger Flughafen, aber auch das Viaduc de Millau in Südfrankreich und das Energieprojekt Masådar) näher gebracht.
Darüber hinaus zeigt der Film, wie seine Zeiten mit dem britischen Architekten Richard Rogers und dessen ersten Frau Sue, aber auch mit dem US-amerikanischen Konstrukteur und Designer Richard Buckminster Fuller Foster bis heute als Inspiration dienen und an welchen Stellen die Entwürfe seines Büros von seinem eigenen Genie zeugen.
Zu Beginn sieht es danach aus, als wollten die Regisseure einen mehr oder minder chronologischen Lebenslauf Fosters nachzeichnen, der im südöstlich von Manchester gelegenen Stockport in eine Arbeiterfamilie geboren wurde. Der Film zeigt: Mit eisernem Willen kämpfte Foster für ein wegweisendes Praktikum in einem Architekturbüro, studierte anschliessend in Yale und musste den harzigen Start seines eigenen Studios erdulden. Als Off-Erzähler erklärt Deyan Sudjic vieles, was aus den Bildern und Interviews nicht direkt ersichtlich wird, und fügt auch manche Interpretation der Regisseure hinzu. Doch schon nach dem Tod von Fosters erster Frau Wendy wird der Zuschauer mit Spekulationen allein gelassen. Kaum ein Wort zu den folgenden Jahren, in denen er offensichtlich – mit etwa 70 Jahren – noch Vater geworden ist. Währenddessen strotzen die Kommentare enger Mitarbeiter und auch seines Freundes Bono (U2) nur so vor Lobhuldigung und lassen kein einziges Wort der Kritik aufkeimen. Dies mag bei einem so überwältigenden Lebenswerk nicht unangebracht sein, aber Fosters unreflektierte Bewunderung für den Bau „seines“ Pekinger Flughafens, in vier Jahren ohne Verzögerung (mit welcher Opposition hätte man denn rechnen müssen?) und in drei Arbeitsschichten erbaut (unter welchen Bedingungen wohl?), stösst dann doch etwas sauer auf. Diskutieren liesse sich auch über die aalglatte Darstellung Fosters in den Interviews sowie die rücksichtslose Einstellung gegenüber dem eigenen Körper. So hat Foster direkt nach einer Chemotherapie einen Langlauf-Marathon absolviert, mit der Meinung, sein Körper sei ja prinzipiell immun und liesse sich noch lange wie eines seiner Vorzeigeprojekte „managen“. Und was war nach der Prognose, die Foster noch drei Monate zu leben versprach? Was ist mit Fosters Designentwürfen (z. B. von Möbeln)? Was ist mit der Frage, ob Foster seinen Mitarbeitern, die er fördert und fordert, eine genauso rücksichtslose Lebensweise abverlangt? Auch hier wüsste der Zuschauer gerne mehr.
So bleibt der architektonische Teil, brillant gefilmt und auf der bestechend innovativen und zukunftsweisenden Ideenwelt Fosters beruhend, neben Bruchstücken eines turbulenten Privatlebens stehen. Schleierhaft bleibt ebenso, warum der Film eine Freigabe „ab 16“ erhalten hat – da muss es sich wohl um einen Schreibfehler handeln. Damit bleibt das Bild dieser Karriere und des Menschen hinter den fraglos genialen Entwürfen leider unvollständig. Die eine Hälfte der Kinobesucher mag sich dadurch eingeladen fühlen, in die Welt Norman Fosters abzutauchen und selber Recherchen zu betreiben. Doch die andere Hälfte wird auf halber Strecke mit vielen Fragen stehen gelassen.
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How Much Does Your Building Weigh Mr Foster? (2010)
Originaltitel: –
Land: Grossbritannien, Spanien, Deutschland, Hong Kong, USA, Schweiz, Frankreich, China
Regie: Carlos Carcas, Norberto López Amado
Drehbuch: –
Schauspieler: Norman Foster, Deyan Sudjic
Musik: Joan Valent
Laufzeit: 78 Minuten
Start CH: 04.08.2011
Verleih: Stamm Film
Weitere Infos bei IMDB[/box]
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©Stamm Film
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