Seelenrevolution
von Anne Konz
Mit „A Dangerous Method“ gelingt es Regisseur David Cronenberg und seinem brillanten Schauspielensemble (Viggo Mortensen, Keira Knightley, Michael Fassbender und Vincent Cassel), die Verstrickungen und Gegensätze in den Anfangszeiten der Psychoanalyse eindrücklich darzustellen. Der ruhige Film entwickelt eine fesselnde Dynamik der psychologischen Triebe und philosophischen Diskussionen.
Zürich, 1904. In einer Kutsche wird eine um sich schlagende junge Frau ins Burghölzli gebracht. Es ist die 18-jährige jüdische Russin Sabina Spielrein (Keira Knightley), eine wissensdurstige, hochintelligente, aber sehr unruhige Persönlichkeit. Ihre Symptomatik, ganz der Zeit entsprechend: Hysterie. Ihr Therapeut ist der 29-jährige Psychiater C. G. Jung (Michael Fassbender), der sich mit neuartigen Assoziationsforschungen und der noch unbekannten „Redekur“ des Sigmund Freud beschäftigt. Mit dieser Methode versucht er ihr die demütigenden Erlebnisse ihrer Kindheit zu entlocken. Es sind dies die Erinnerungen an ihren schlagenden Vater, die Jung mit darin wurzelnden masochistischen, sexuellen Wünschen zusammenbringt. Schon bald bessert sich ihr Zustand, sodass Jung mit Spielrein als Assistentin zu arbeiten beginnt, sich zunehmend aber auch von ihrer Schönheit und Intelligenz in den Bann gezogen fühlt. Die von Beginn an unscharfen Grenzen ihrer Beziehung und die irritierende sexuelle Anziehung seiner Patientin verunsichern Jung zutiefst. Seine schwangere Frau, der ruhende Pol in seinem Leben, gerät ins Hintertreffen, obwohl sie ihn in seiner Arbeit, trotz ihrer Unzufriedenheit, bedingungslos unterstützt.
Fasziniert vom „Fall Spielrein“ tritt Jung mit Sigmund Freud (Viggo Mortensen) in Wien in Kontakt, um mit ihm seine Erfahrungen und die Ansätze der noch experimentellen Psychoanalyse zu diskutieren. Bald erweist sich Freud als väterlicher Mentor und schickt ihm einen seiner Patienten, Otto Gross (Vincent Cassel), zur Behandlung. Dieser ist selbst ein Arzt, aufsässiger Provokateur und, sogar nach Freuds Beurteilung, drogensüchtig (und das spricht dafür, dass auch Freud, zeitweise selbst kokainabhängig, nicht frei war von blinden Flecken). Doch Gross ist davon überzeugt, er könne seine eigenen Patienten nur heilen, indem er gleichartige Erfahrungen gemacht habe und seine Triebe nicht zurückhalte. Vor allem mit seinen kritischen Thesen zur Monogamie trifft Gross bei Jung auf fruchtbaren Boden, bevor er unerwartet über die Anstaltsmauer türmt. So ermuntert er schliesslich seinen Arzt zu einer Affäre, die von Beginn an asymmetrisch sein muss – Sabina ist abhängig von Jung, der sich seinen unerfüllten Begierden auch nicht entziehen kann. Bald erfährt Freud davon und drängt seinen Ziehsohn während den gemeinsamen, stundenlangen philosophischen Gesprächen dazu, die Affäre zu beenden. Doch Jung verleugnet die Grenzüberschreitung, aus Scham und aus der Furcht heraus, seinen Einfluss in der tiefenpsychologischen Bewegung zu verlieren…
Auch in intellektueller Hinsicht prallen die Ansichten der beiden immer öfter aufeinander. Jung wendet sich dem Mystizismus zu und wirft Freud eine engstirnige Fixierung auf die Sexualität als Ursache aller psychologischen Prozesse vor. Freud wiederum besteht auf therapeutischer Abstinenz und sieht in Jungs Faszination für das Okkulte eine Überschreitung der wissenschaftlichen Grenzen, beides Gründe, die der Bewegung den Garaus machen könnten. Noch tiefer liegende Konflikte um Autorität, Sterblichkeit und Religion führen dazu, dass sich die beiden weiter und weiter voneinander entfernen. Jungs Affäre mit Sabina Spielrein entpuppt sich als Katalysator für den Bruch zwischen den beiden Vordenkern, aber auch für Spielreins eigene Entwicklung zur erfolgreichen Analytikerin und Kinderpsychologin.
A Dangerous Method erweist sich als feinfühlige Nachzeichnung der Ära vor dem ersten Weltkrieg, der damaligen Theorien, Weltanschauungen und der bahnbrechenden und revolutionären Auffassung Freuds von der Psyche des Menschen. Unterstützt von hervorragenden Schauspielern, die ganz in ihren Rollen aufgehen, haucht David Cronenberg den Ereignissen um die aufkeimende Psychoanalyse Leben ein. Seine Vorliebe für dunkle Begierden und Triebkräfte ist geradezu prädestiniert für einen Film, der die menschlichen Abgründe der beiden Psychoanalytiker erforscht. Die Filmsprache selbst ist sehr zurückhaltend, ruhig und klassisch gehalten; nichtsdestotrotz entwickelt die Handlung eine ganz eigene, zugkräftige Dynamik fernab blossen Dialogkinos. Souverän spielt Viggo Mortensen in seiner Rolle als Freud auf, die er minutiös vorbereitet hat. Jenseits ihrer üblichen, immer gleich wirkenden Historienfilme überrascht aber vor allem Keira Knightley, die der Sabina Spielrein eine Glaubwürdigkeit und Authentizität verleiht, die man so selten gesehen hat. So schafft sie es für einmal, den Star „Keira Knightley“ in den Hintergrund treten zu lassen, was dem Film sehr gut tut.
Andererseits ist es erstaunlich, wie ansprechend der Film für unterschiedlichst Interessierte gelungen ist: für Zuschauer ohne grosses psychologisches Wissen ist er gleichermassen lohnend wie für solche, die sich bereits in die Thematik vertieft haben. Die spezielle Dynamik zwischen Analytiker und Patientin, die häufig auftretenden Wünsche nach Grenzüberschreitung und die Regeln der Psychoanalyse, die solche Verstrickungen verhindern sollen, gäben schon Stoff genug für einen eigenen Film. Die biografische Darstellung der Frühphase dreier für die Psychologie bedeutsamer Personen ist jedoch so vielfältig, dass es dem Film wirklich an nichts fehlt. Einzig der Musik – immerhin von Howard Shore geschrieben – könnte man mangelnde Originalität vorwerfen. Dass viele der doppelbödig idyllischen Szenen nicht an Originalschauplätzen wie dem Zürichsee, sondern am Bodensee gedreht wurden, hat zuletzt einen trivialen psychologischen Grund: Seit dem letzten Jahrhundert erkannten neben Jung so viele Wohlbegüterte die „Goldküste“ als schönen Ort zum Wohnen, dass sie mittlerweile für einen historischen Film schlicht zu dicht bebaut ist.
[hr]
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A Dangerous Method (2011)
Deutsch: Eine dunkle Begierde
Land: Kanada, Deutschland, Grossbritannien, Schweiz
Regie: David Cronenberg
Drehbuch: Christopher Hampton
Kamera: Peter Suschitzky
Schauspieler: Viggo Mortensen, Keira Knightley, Michael Fassbender, Vincent Cassel, Sarah Gadon, u.a.
Musik: Howard Shore
Laufzeit: 99 Minuten
Kinostart CH: 10.11.2011
Verleih: Universal Pictures International Switzerland
Weitere Infos bei IMDB[/box]
[hr]
©Universal Pictures International Switzerland
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