„Was wäre gewesen, wenn…“
von Julia Bänninger
Der Liebesfilm Fenster zum Sommer von Autor und Regisseur Hendrik Handloegten (Liegen lernen, 2003) spielt mit der Verflechtung von Schicksal und Gefühlen. Können zwei Menschen ein zweites Mal ein Paar werden, auch wenn einer der beiden gar nichts vom ersten Verhältnis weiss? Von Zeit zu Zeit etwas konstruiert, immer aber mit einem gewissen Charme gewinnt die filmische Umsetzung des gleichnamigen Romans von Hannelore Valencak durch den Kunstgriff der Zeitverschiebung etwas Magisch-Rätselhaftes.
Eine scheinbar endlose Strasse inmitten eines Tannenwaldes: Verspielte Sonnenstrahlen scheinen durch das dichte Gehölz. In einem Auto fahren Juliane und August, ein verliebtes Pärchen, gerade in Finnland im Urlaub. Die beiden machen Rast bei einem See und August springt übermütig ins flache Wasser. Juliane erschrickt, als ihr Geliebter zu lange nicht mehr auftaucht, doch glücklicherweise zu Unrecht: Es war alles nur ein Spiel und August kommt der verängstigten Juliane lachend aus dem Wasser entgegen.
Später im Auto, eng aneinander gekuschelt, sagt Juliane: „Weisst du, ich hatte wirklich Angst um dich. Stell dir vor, du wärst nicht mehr aufgetaucht.“
Am nächsten Morgen wacht Juliane auf, doch ihre Hand fasst ins Leere, als sie nach August tastet. Schockiert muss sie feststellen, dass sie mehrere Monate in der Zeit zurückversetzt wurde: Juliane befindet sich plötzlich in der Wohnung, welche sie mit ihrem damaligen Freund Philipp geteilt hat. Sie ist völlig aus dem Konzept geworfen und öffnet den Vorhang: Es ist Winter.
So beginnt der neue Film von Hendrik Handloegten, und dies ist erst der Anfang einer teilweise kitschig anmutenden Reise durch die Zeit. Die immer wieder gern gestellte Frage „Was wäre gewesen, wenn…?“ zieht sich hier als roter Faden durch die Geschichte und soll nach Angaben des Regisseurs Anlass sein, die eigene Situation zu reflektieren: Würde ich bestimmte Dinge im Leben wieder genauso machen?
Natürlich gilt Julianes erster Gedanke nach dem bösen Erwachen dem geliebten August, welchen sie sofort zu erreichen versucht. Doch bald muss sie feststellen, dass sie die einzige ist, welche sich an einen gemeinsamen Sommer erinnern kann: August erkennt Juliane nicht.
Aus dem Blickwinkel der Protagonistin wird dem Zuschauer der aus der ungewöhnlichen Situation resultierende Konflikt näher gebracht. Juliane kommt ungefragt in die Lage, nochmal über jeden bereits gemachten Schritt entscheiden zu können. Das Unangenehme daran ist, dass sie sich in eine Zeit zurückversetzt sieht, welche sie nur ungern ein zweites Mal durchlebt. Doch genau das muss sie tun: Jede Kleinigkeit muss Juliane wiederholen, um auf keinen Fall den Augenblick zu verpassen, in welchem sie August begegnen wird. Doch je verzweifelter sie das versucht, desto mehr verwirrt sie ihre Erinnerung: Hatte sie beim Essen in der Kantine zwei oder mehr Kartoffeln genommen? Wann genau hatte sie sich hingesetzt? Die Situation treibt Juliane zum unvermeidlichen Zusammenbruch.
Somit ist der Film auch eine Reflexion über die Bedingungen der Liebe: Wie viel Einfluss hat der Mensch auf sein Leben? Ist Liebe vorbestimmt oder entspringt jede Begegnung einem zufälligen Zusammentreffen kleinster Begebenheiten?
Wie so oft bei Geschichten, in denen Zeitreisen eine Rolle spielen, ist auch der Film von Handloegten nicht immer ganz schlüssig. Es bleiben viele Fragen offen, was aber nicht weiter stört. Der Regisseur sagt selbst, dass „der Film eine gewisse Entfernung zur Realität haben und das eigene Leben wie einen Film, wie einen Traum zeigen sollte.“
Fenster zum Sommer ist eine Geschichte, die durch die vielen Panorama-Aufnahmen der Landschaft Finnlands besonders schön in Szene gesetzt wird. Fast schon unwirklich erstreckt sich das annähernd unbewegte Wasser des Sees im orangefarbenen Licht der untergehenden Sonne. Jene ausserordentlichen Aufnahmen wurden in einer schlaflosen Mittsommernacht gedreht. Die Darstellung Finnlands als Idylle, als Sehnsuchtsort, steht damit in direktem Kontrast zur Inszenierung der winterlichen Stadt: graue Farben, Beton und ein wolkenverhangener Himmel.
Im Verlauf der Geschichte werden die Bilder des Sommers immer mehr zu undeutlichen Erinnerungen, formal mit Hilfe verschwommener, körniger Bilder einer alten Handkamera ausgedrückt. Die zuweilen angewandte subjektive Kamera und das Spiel mit der Schärfentiefe verdeutlichen die persönliche Perspektive der Hauptdarstellerin und verleihen dem Film eine künstlerische Ästhetik.
Die Einschränkung, die sich Handloegten mit der Wahl eines einzigen Blickwinkels auferlegt hat, ist allerdings nicht immer von Vorteil. Der Dialog zwischen den Charakteren wirkt teilweise konstruiert und scheint bloss darauf abzuzielen, dem Zuschauer wichtige Informationen zu vermitteln: An den Besuch beim Makler vor einem halben Jahr kann sich die Protagonistin offensichtlich sehr gut erinnern: Haargenau spricht sie die Worte des Häuservermittlers vor, was ziemlich unwahrscheinlich wirkt. Überdeutlich wird dem Zuschauer damit Julianes erschreckende Erkenntnis, dass sie nun in die Zukunft blicken kann, vermittelt. Gleichzeitig ist auch das Verhalten der Nebencharaktere in gewissen Situationen nicht nachvollziehbar: Als Juliane völlig konfus und im kältesten Winter bloss mit einem Sommerkleid und offenen Schuhen in den Bus steigt, begegnet sie ihrer Mitarbeiterin Emily. Diese scheint nichts vom prekären Zustand ihrer Freundin zu bemerken und schwatzt munter vor sich hin.
Zum Cast der geheimnisvollen Liebesgeschichte gehört Hauptdarstellerin Nina Hoss, welche bereits in zahlreichen Filmen spielte – unter anderem wurde sie für ihre Rolle im Film Die weisse Massai (2005) von Hermine Huntgeburth mit dem Bayerischen Filmpreis geehrt. Zwar vermag die Schauspielerin Julianes Verwirrung und Unentschlossenheit gut darzustellen, doch wird ihr etwas gleichförmiger Blick mit der Zeit langweilig: Die unangenehme Lage der Protagonistin ist durchaus nachvollziehbar, sollte ihr aber nicht dauernd ein versteinertes Gesicht aufzwingen. Das gleichzeitige Schweigen, welches während Gesprächen mit Leuten ihrer Umgebung an den Tag tritt, soll wohl Traurigkeit oder Verzweiflung ausdrücken, wirkt aber wie eine Kommunikationsbehinderung Julianes.
Erst als sie sich – trotz ihrer Vorsätze, nicht ins Schicksal zu intervenieren – August vor der vom Schicksal eigentlich geplanten Begegnung nähert und auf einer Party mit ihm tanzt, scheint sie endlich zum Leben zu erwachen. Und mit Erleichterung erkennt der Zuschauer, dass doch noch etwas Leidenschaft in Juliane steckt.
Und dann wäre da noch Otto, Emilys Sohn, der noch zur Grundschule geht und erst im Verlauf der Geschichte tiefere Bedeutung gewinnt. Dieser etwas schwerfällige, ernste Junge, welcher so viel Selbstverantwortung besitzt und genau wie Juliane kaum je eine Miene verzieht – wird schliesslich zum Stereotyp des schlauen Kindes, welches Juliane mit einem weisen Rat verhilft, als sie ihm eine abgewandelte Version ihrer Erlebnisse als Gutenachtgeschichte erzählt.
Trotz der kitschigen Anwandlungen, denen man im Verlaufe des Films immer wieder begegnet, ist Fenster zum Sommer keine gewöhnliche Liebesgeschichte. Bis zum Schluss bleibt der Zuschauer über deren Ausgang im Unklaren, was ein bedeutendes Spannungselement darstellt. Nur schade, dass dann doch eine ganz eindeutige Antwort nachgeliefert wird.
[hr]
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Fenster zum Sommer (2011)
Deutsch: –
Land: Deutschland, Finland
Regie: Hendrik Handloegten
Drehbuch: Hendrik Handloegten
Kamera: Peter Przybylski
Schauspieler: Nina Hoss, Fritzi Haberlandt, Mark Waschke
Lars Eidinger, Barbara Philipp, u.a.
Musik: Timo Hietala
Laufzeit: 96 Minuten
Kinostart CH: 15.12.2011
Verleih: Filmcoopi
Weitere Infos bei IMDB[/box]
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