Wintermärchen im Sommer
von Severin Auer
„Dolphin Tale“ ist ein Film für die ganze Familie, der nach formelhaftem Hollywood-Schema eine rührende Geschichte erzählt, die den individuellen Überlebenskampf über die Thematik des Tierschutzes stellt.
Sawyer Nelson (Nathan Gamble) ist ein introvertierter Junge, der in der Schule nicht besonders gut ist. Sein einziger echter Freund ist sein hübscher und muskulöser Cousin Kyle, der in der örtlichen Schwimmhalle einige Rekorde aufgestellt hat. Nur hat sich dieser nun bei der Armee gemeldet und wird sein Zuhause für längere Zeit verlassen. Sawyer muss sich damit abfinden, dass er seine Ferien in der Sommerschule und beim Basteln in der Garage verbringen wird. Doch es kommt anders. Als Sawyer auf seinem Schulweg am Strand ein Delfinweibchen entdeckt, das sich in einer Krebsreuse verfangen hat, beginnt er es zu befreien, während ein anwesender Angler das Clearwater Marine Hospital informiert. Der Junge besucht fortan täglich den Delfin und befreundet sich mit der Familie Haskett, die das Spital unter grossem persönlichem Einsatz führt. Eines Tages folgt eine Hiobsbotschaft der nächsten. Die Schwanzflosse des Delfins hat sich unheilbar infiziert und muss amputiert werden. Auch Cousin Kyle kehrt unerwartet früh nach Hause zurück, sitzt im Rollstuhl und ist auf Gehhilfen angewiesen. Da kommt Sawyer auf die rettende Idee, dem Delfin eine Prothese zu verpassen und heuert dafür den Medizintechniker Dr. McCarthy (Morgan Freeman) an.
Das bezaubernde an diesem ungewöhnlichen Versuch: Er basiert auf einer wahren Begebenheit. Winter, so der Name des Delfins, hat es vor einigen Jahren in Zeitungen, Zeitschriften und Fernsehsendungen auf der ganzen Welt geschafft. Nun hat Winter auch noch ihren eigenen Kinofilm bekommen und spielt sich darin gleich selbst. Klar, dass Hollywood die an sich schon rührende Ausgangslage noch mit einem deftigen Zuckerguss übergiesst, der alle künstlich herbeigeführten Probleme, innerhalb des fast zweistündigen Films, sauber ausbügelt und die Welt von Sawyer zum Himmel auf Erden werden lässt. Er kriegt eine gute Note in der Schule, sein Cousin kehrt an seine Seite zurück, er gewinnt die kleine Hazel als Freundin, findet in Hazels Vater einen Vaterersatz, rückt wieder näher zu seiner Mutter, die wiederum in Hazels Vater, seinerseits Witwer, einen Neuanfang sieht, während das Spital vor dem finanziellen Ruin gerettet wird. Alles ausgelöst durch das Schicksal des verletzten Delfins, der mit der Prothese ebenfalls zum Happy End des Films beiträgt. Immerhin, Dolphin Tale bleibt insofern ehrlich, als dass er die Vermarktung des Schicksals des Delfins, als Schlüsselelement zur Lösung aller Probleme, zumindest in diesem hollywod’schen Mikrokosmos, nicht zu vertuschen versucht.
Der Film ist in seinem Herzen jedoch nicht mehr als ein Aufguss des Klassikers Free Willy (1993). Ein eigenbrötlerischer Junge freundet sich mit einem Meeressäuger an, entwickelt ein grosses Interesse an einem neuen Thema und eine besondere Beziehung zum Tier. Nur fehlt der Delfin-Geschichte ein echter Bösewicht. Es gibt keine geldgierigen Menschen, die Tiere in Gefangenschaft stecken und sich dabei nicht um das Wohl der Tiere sorgen. Die Verwicklung in der Krabbenreuse ist auch keine fiese und hinterhältige Falle, sondern ein unglücklicher Zufall. Für Spannung herhalten muss dann halt ein wilder Orkan, der langsam versiegende Geldfluss und ein drohender Verkauf des Spitals an einen Investor.
Dolphin Tale baut denn auch nicht auf der Thematik des Tierschutzes auf, sondern inszeniert Winter als Vorbild für schwierige Zeiten. Nicht aufgeben und selbst bei Rückschlägen den Kopf nicht in den Sand stecken, umdenken und wieder angreifen lautet die Parole. So durchschaubar der formelhafte Aufbau dieses Sommermärchens auch sein mag, gerade das jüngere Publikum wird sich von dieser Welt betören lassen. Um auf den Boden der unbeschönigten Tatsachen zurückzukommen, sei den Eltern The Cove empfohlen.
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Dolphin Tale (2011)
Deutsch: Mein Freund der Delfin
Land: USA
Regie: Charles Martin Smith
Drehbuch: Karen Janszen, Noam Dromi
Schauspieler: Ashley Judd, Morgan Freeman, Harry Connick Jr., Kris Kristofferson, Ray McKinnon, Nathan Gamble, Rus Blackwell u.a.
Kamera: Karl Walter Lindenlaub
Schnitt: Harvey Rosenstock
Musik: Mark Isham
Laufzeit: 113 Minuten
Start CH: 15.12.2011
Verleih: Warner Bros. Pictures. All Rights Reserved
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