Die 84. Oscar-Verleihung stand ganz im Zeichen der Nostalgie. Mit The Artist gewann ein Schwarzweiss- und Stummfilm die wichtigsten Preise für „Bester Film“ und „Beste Regie“ und erhielt mit insgesamt fünf Statuen ebenso viele Auszeichnungen wie Martin Scorseses Hugo – eine Liebeserklärung an die Anfänge des Kinos.
Vielleicht war es Schicksal, dass Eddie Murphy der Academy eine Absage erteilte, als Host durch die 84. Oscar-Verleihung zu führen. Mit Billy Crystal übernahm ein Altmeister die Ehre und das bereits zum neunten Mal. Als „War Horse“ bezeichnete sich der Komiker, in Anlehnung an Steven Spielbergs nominiertes Kriegsdrama, und führte fortan mit viel Stil und sorgfältig geplanten Witzen durch den Abend, ohne dabei unter der Gürtellinie ansetzen zu müssen. Die Veranstaltung zelebrierte die Anfänge des Kinos und schwelgte in der Nostalgie. Selbst Sacha Baron Cohens Mini-Provokation auf dem roten Teppich, verkleidet als Diktator und mit der Urne des kürzlich verstorbenen nordkoreanischen Diktators in der Hand, wirkte dabei wie ein Relikt aus der Vergangenheit. In den Rahmenstückchen plauderten die Filmschaffenden über besondere Kinoerlebnisse und ihre ersten Kinobesuche, während Crystal in einem Sketch die Testvorführungen eines Films, zur Einschätzung der Qualität der Filme, unter Beschuss nahm. Dazwischen wurden die Anwesenden mit einem grandiosen Auftritt des “Cirque du Soleil” in Hitchcocks North by Northwest und in die düstere Fabrikstadt von Langs Metropolis entführt.
The Artist schlägt Hugo
Der Stummfilm The Artist wurde im Vorfeld der Verleihung als grosser Favorit gehandelt. Die wichtigsten Kategorien „Bester Film“, „Beste Regie“ und „Bester Hauptdarsteller“ (Jean Dujardin) gingen denn auch an Michel Hazanavicius’ Film über einen Star der Stummfilmzeit, der den Anschluss an den technischen Wandel zum Tonfilm verpasst. Oscar® Nummer 4 und 5 vergab die Academy für die Musik von Ludovic Bource und die Kostüme im Film. The Artist ist damit der erste Stummfilm seit 83 Jahren, der wieder einen Oscar® gewinnen konnte.
Geschlagen geben musste sich Martin Scorseses Ausflug ins Familienkino. Die Geschichte, basierend auf einem Kinderbuch, über den Waisenjungen Hugo, der im Pariser Bahnhof die Uhren repariert und Bekanntschaft mit dem in Vergessenheit geratenen Pionier der Filmgeschichte Georges Méliès macht, ist eine Liebeserklärung an die Anfänge des Kinos. Im Gegensatz zu The Artist, der sich der damaligen Technik bedient und somit imitiert, macht Scorsese einen Ausflug in die Filmgeschichte und zeigt sich mit der Digitalisierung und der 3D-Technik ähnlich experimentierfreudig, wie Méliès zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Hugo durfte erfreulicherweise ganze fünf Oscars® – und damit gleich viele wie The Artist – einsacken, jedoch ausschliesslich in den technischen Kategorien wie Kameraarbeit, Ton, Tonschnitt, Szenenbild und visuelle Effekte.
Dritter Oscar für Meryl Streep
Bei der Verleihung der Oscars® für die besten Schauspieler und Schauspielerinnen, sowie Nebendarsteller und Nebendarstellerinnen, zeigte sich die Academy ebenfalls äusserst berechenbar. In einem starken Feld, bei dem besonders Glenn Close, die in Albert Nobbs eine Hosenrolle übernahm, zu wenig Beachtung geschenkt wurde, setzte sich Meryl Streep in ihrer herausragend gespielten Rolle als Margaret Thatcher in The Iron Lady durch. Die 62-jährige nahm den Oscar® zum dritten Mal, und erstmals wieder seit 30 Jahren (Sophie’s Choice), sichtlich gerührt in Empfang.
Ihr Glück kaum fassen konnte Octavia Spencer, die für ihre „Neben“-Rolle als Haushaltshilfe in The Help ausgezeichnet wurde und damit Jessica Chastain (ebenfalls The Help) ausstach. Wirklich überraschend war diese Wahl allerdings ebenfalls nicht. Gleich verhielt es sich mit Christopher Plummer, der für seine Rolle in Beginners als sichere Wette galt. Plummer erhielt nicht nur seinen ersten Oscar® überhaupt, sondern ist nun auch der älteste Oscargewinner in der Geschichte der Verleihung: “You’re only two years older than me darling. Where have you been all of my life?”
Abwesender Woody Allen und anwesender Asghar Farhadi
Es ist bekannt, dass sich Woody Allen an der Oscar-Verleihung nicht blicken lässt, er selbst ist nicht einmal Mitglied der Academy. Die lässt es sich hingegen erfreulicherweise nicht nehmen, Allens Werk dennoch zu nominieren und wie im Falle von Midnight in Paris, auch für das „Beste originale Drehbuch“ auszuzeichnen. Allen setzte sich damit gegen Asghar Farhadis herausragendes Drehbuch zu A Separation durch. Der iranische Regisseur durfte indessen für seinen Film den Oscar® für „Bester fremdsprachiger Film“ in Empfang nehmen. Absolut verdient, aber auch absolut keine Überraschung. Das beste adaptierte Drehbuch fand die Academy bei Alexander Payne, Nat Faxon und Jim Rash für The Descendants.
Animation, Dokumentation und Kurzfilm
In der Kategorie der Animationsfilme, zeigt man sich erwartungsgemäss ebenfalls sehr konservativ. Immerhin hatte man dieses Jahr den Mut, Pixar, die den Oscar® in den letzten Jahren fast abonniert hatten, einmal erst gar nicht für den Langspielfilm zu nominieren. Der Oscar® ging an ILMs Animationsfilmdebüt Rango. So gelungen Gore Verbinskis Western-Komödie ist und so verdient er gewonnen hat, so wünscht man sich dennoch etwas mehr Mut, wenn es um die Berücksichtigung von Animationsfilmen geht, die nicht mit dem Computer animiert wurden. So durften sich denn auch William Joyce und Brandon Oldenburg für ihren computeranimierten Kurzfilm The Fantastic Flying Books of Mr. Morris Lessmore über eine Auszeichnung freuen, während die aus technischer Sicht innovativeren Kurzfilme wie Dimanche, A Morning Stroll und Wild Life, leer ausgingen (zusammen mit Pixars Kurzfilm La Luna).
Richtig überraschen konnte hingegen die Auszeichnung der Football-Dokumentation Undefeated. Hier hatte sich der deutsche Regisseur Wim Wenders mit seinem 3D-Tanzfilm Pina grosse Chancen ausgerechnet, während Paradise Lost 3 als eigentlicher Favorit für die Auszeichnung galt. Der Oscar® für den besten Dokumentationskurzfilm ging an Daniel Junge und seinen Blick auf Verbrennungsopfer in Pakistan mit Saving Face. Als Bester Kurzfilm wurde The Shore von Terry George ausgezeichnet.
Alle Auszeichnungen im Überblick:
PICTURE:
The Artist
Moneyball
The Descendants
The Tree of Life
Midnight in Paris
The Help
Hugo
Extremely Loud & Incredibly Close
War Horse
DIRECTOR:
Alexander Payne – The Descendants
Michel Hazanavicius – The Artist
Martin Scorsese – Hugo
Woody Allen – Midnight in Paris
Terrence Malick – The Tree of Life
ACTOR:
Jean Dujardin – The Artist
Gary Oldman – Tinker Tailor Soldier Spy
George Clooney – The Descendants
Brad Pitt – Moneyball
Demián Bichir – A Better Life
ACTRESS:
Meryl Streep – The Iron Lady
Viola Davis – The Help
Michelle Williams – My Week With Marilyn
Glenn Close – Albert Nobbs
Rooney Mara – The Girl with the Dragon Tattoo
SUPPORTING ACTOR:
Christopher Plummer – Beginners
Kenneth Branagh – My Week With Marilyn
Nick Nolte – Warrior
Jonah Hill – Moneyball
Max Von Sydow – Extremely Loud and Incredibly Close
SUPPORTING ACTRESS:
Berenice Bejo – The Artist
Jessica Chastain – The Help
Melissa McCarthy – Bridesmaids
Janet McTeer – Albert Nobbs
Octavia Spencer – The Help
ORIGINAL SCREENPLAY:
Michel Hazanavicius – The Artist
Kristen Wiig & Annie Mumolo – Bridesmaids
J.C. Chandor – Margin Call
Woody Allen – Midnight in Paris
Asghar Farhadi – A Separation
ADAPTED SCREENPLAY:
Alexander Payne, Nat Faxon & Jim Rash – The Descendants
John Logan – Hugo
Aaron Sorkin & Steven Zaillian – Moneyball
George Clooney – The Ides of March
Peter Straughan & Bridget O’Connor – Tinker Tailor Soldier Spy
ANIMATED FEATURE:
A Cat in Paris (dirs. Jean-Loup Felicioli & Alain Gagnol)
Chico & Rita (dirs. Tono Errando & Javier Mariscal & Fernando Trueba)
Kung Fu Panda 2 (dir. Jennifer Yuh)
Puss in Boots (dir. Chris Miller)
Rango (dir. Gore Verbsinki)
FOREIGN LANGUAGE FILM:
Bullhead (dir. Michael R. Roskam – Belgium)
Monsieur Lazhar (dir. Philippe Falardeau – Canada)
A Separation (dir. Asghar Farhadi – Iran)
Footnote (dir. Joseph Cedar – Israel)
In Darkness (dir. Agnieszka Holland – Poland)
CINEMATOGRAPHY:
Guillaume Schiffman – The Artist
Jeff Cronenweth – The Girl with the Dragon Tattoo
Robert Richardson – Hugo
Emmanuel Lubezki – The Tree of Life
Janusz Kaminski – War Horse
DOCUMENTARY FEATURE:
Pina
Hell and Back Again
If A Tree Falls: The Story of the Earth Liberation Front
Paradise Lost 3
Undefeated
DOCUMENTARY SHORT:
The Barber of Birmingham (dirs. Gail Dolgin & Robin Fryday)
God Is the Bigger Elvis (dir. Rebecca Cammisa)
Incident in New Baghdad (dir. James Spione)
Saving Face (dir. Daniel Junge)
The Tsunami and the Cherry Blossom (dir. Lucy Walker)
ANIMATED SHORT:
Dimanche/Sunday (dir. Patrick Doyon)
The Fantastic Flying Books of Mr. Morris Lessmore (dirs. William Joyce & Brandon Oldenburg)
La Luna (dir. Enrico Casarosa)
A Morning Stroll (dir. Grant Orchard)
Wild Life (dirs. Amanda Forbis & Wendy Tilby)
LIVE-ACTION SHORT:
Pentecost (dir. Peter McDonald)
Raju (dir. Max Zähle)
The Shore (dir. Terry George)
Time Freak (dir. Andrew Bowler)
Tuba Atlantic (dir. Hallvar Witzø)
VISUAL EFFECTS:
Harry Potter and the Deathly Hallows: Part 2
Hugo
Real Steel
Rise of the Planet of the Apes
Transformers: Dark of the Moon
ART DIRECTION:
The Artist
Harry Potter and the Deathly Hallows: Part 2
Hugo
Midnight in Paris
War Horse
COSTUME DESIGN:
Anonymous
The Artist
Hugo
Jane Eyre
W.E.
MAKEUP:
Albert Nobbs
Harry Potter and the Deathly Hallows: Part 2
The Iron Lady
FILM EDITING:
The Artist
The Descendants
The Girl with the Dragon Tattoo
Hugo
Moneyball
SOUND MIXING:
The Girl with the Dragon Tattoo
Moneyball
Hugo
Transformers: Dark of the Moon
War Horse
SOUND EDITING:
Drive
The Girl with the Dragon Tattoo
Hugo
Transformers: Dark of the Moon
War Horse
ORIGINAL SCORE:
John Williams – The Adventures of Tintin
Ludovic Bource – The Artist
Howard Shore – Hugo
Alberto Iglesias – Tinker Tailor Soldier Spy
John Williams – War Horse
ORIGINAL SONG:
“Man or Muppet” from The Muppets
“Real in Rio” from Rio
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