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Berlinale 2013 – Ein Querschnitt

05/03/2013 By Groarr Leave a Comment

(von dap)

Es liegt wohl in der Natur der Sache, dass in so manchen Filmen, wie man sie im Laufe der Jahre gesehen hat, Liebesbeziehungen meist eine zentrale, weniger oft eine nebensächliche aber selten gar keine Rolle spielen. Im 63. Berlinale-Jahr hat sich dies bestätigt: Ob glücklich oder nicht, die Liebe und Sex sind nach wie vor Hauptmotiv vieler Filme – auch wenn man vom klassischen „boy meets girl“ abkommt und beispielsweise mal das „girl“ durch die einseitige Liebe zu Inhalten auf dem Computer ersetzt wird – so ganz ohne geht’s meist eben doch nicht.

GLORIA - CHL/ESP 2012 Wettbewerb 2013 REGIE: Sebastián Lelio Sergio Hernández, Paulina García

GLORIA – CHL/ESP 2012
Wettbewerb 2013
REGIE: Sebastián Lelio
Sergio Hernández, Paulina García

Einer der besten Beiträge hinsichtlich der Irrungen und Wirrungen der geschlechtlichen Zuneigungskraft war die chilenisch-spanische Ko-Produktion Gloria. Darin verkörpert Paulina Garcia die Titelfigur Gloria und wurde zurecht als “Beste Darstellerin” des Festivals gekürt. Gloria ist eine lebensfrohe Frau Mitte 50, geschieden und Mutter von zwei erwachsenen Kindern. Das Fehlen eines Partners und die längst ausgezogenen Kinder geben ihr neue Freiheiten, die sie in vollen Zügen geniesst: vornehmlich auf einer gut besuchten Ü50-Party, auf der sie Stammgast ist. Dort lernt sie auch den älteren Romantiker Rodolfo kennen, der die richtigen Worte findet und Gloria zunächst auf Händen und Füssen trägt. Anfangs begeistert von der unkomplizierten Liaison, entpuppt sich Rodolfo bald schon als armes Würstchen, das sich im Schwitzkasten seiner bestimmenden Ex-Frau und seinen beiden terrorisierenden Töchtern befindet, die den Guten unentwegt (meist am Telefon) herumkommandieren, was sich auf die gerade neu entstehende Liebe als äusserst hinderlich auswirkt.

GLORIA - CHL/ESP 2012 Wettbewerb 2013 REGIE: Sebastián Lelio Paulina García

GLORIA – CHL/ESP 2012
Wettbewerb 2013
REGIE: Sebastián Lelio
Paulina García

Der Film lebt von der brillanten Hauptdarstellerin, die ihre Figur mit viel Leben füllt und ein Frauenbild entwirft, wie es in der westlichen Gesellschaft heutzutage sehr glaubwürdig erscheint. Auch wenn Gloria schlussendlich die Erkenntnis gewinnt, dass sie ohne Mann an ihrer Seite wohl besser dasteht – dies wird ihr dadurch erleichtert, dass praktisch alle markanten Männerfiguren mindestens eine eindeutige Macke haben -, ist es der Prozess, der zu dieser Erkenntnis führt, der den Reiz des Films ausmacht. So werden realistische Alltagssituationen gezeigt, wie die Familienzusammenkunft zum Geburtstag des Sohnes, die der Regisseur manchmal sarkastisch-humoristisch auf die Spitze treibt, manchmal aber auch „nur“ zur Ausstaffierung und Tiefengewinnung der Charaktere nützt und ihnen viel Leben einhaucht. Wenn Gloria sich am Ende des Films von dem Lied „Gloria“ ermuntert in Richtung Tanzfläche bewegt, und ausgiebig mittanzt, würde man es ihr am liebsten gleichtun.

PARADIES: HOFFNUNG - AUT, FRA, DEU 2013 Wettbewerb 2013 REGIE: Ulrich Seidl © Ulrich Seidl Film Produktion GmbH

PARADIES: HOFFNUNG – Ö, F, D 2013
Wettbewerb 2013
REGIE: Ulrich Seidl
© Ulrich Seidl Film Produktion GmbH

Ein anderer Film, der das Publikum am Ende – sogar erst während des Abspanns – zum Mitsingen oder besser gesagt, zum Mitklatschen anregte war, man möge es kaum glauben, Ulrich Seidls abschliesseder Trilogie-Film Paradies: Hoffnung. „If you’re happy and you know it: clap your fat“ erklingt es aus dem Off, während die weissen Schriftzüge auf der Leinwand erscheinen. Bereits in der Mitte des Films singt eine Gruppe dicker Kinder diese abgeänderte Version eines Kinderliedes, als sie während ihres Aufenthalts in einem österreichischen Diät-Camp, eine ihrer vielen täglichen Bewegungsübungen durchführen müssen. Hauptfigur ist die 14-jährige Melanie, die zu Beginn des Films von ihrer Mutter mitten im Grünen in klinikartigen Gemäuern abgegeben wird.

PARADIES: HOFFNUNG - Ö, F, D 2013 Wettbewerb 2013 REGIE: Ulrich Seidl © Ulrich Seidl Film Produktion GmbH

PARADIES: HOFFNUNG – Ö, F, D 2013
Wettbewerb 2013
REGIE: Ulrich Seidl
© Ulrich Seidl Film Produktion GmbH

Der kontrovers diskutierte Pseudodokumentarfilmer Seidl, macht sich dabei jedoch nicht über die dicken Kinder lustig, vielmehr sind es die Betreuer, der Arzt und die Gesamtsituation an sich, die den tragisch-komischen Moment untermauern. So wirkt der Sportlehrer beispielsweise mit seinen schmierigen Haaren und Unterarm-Tattoos eher wie ein arbeitsloser Säufer als jemand, der Kindern zum Idealgewicht verhelfen könnte. Auch der Arzt wirkt deplatziert, weniger jedoch aufgrund seiner Berufung, sondern mehr wegen seines Desinteresses und der Lustlosigkeit, mit der er seinen Job ausübt. Wahrscheinlich ist es auch die Unterforderung, die ihm genügend Zeit einräumt, um auf falsche Gedanken zu kommen und sich Melanie anzunähern; auf eine Art, die über das ärztliche Vertrauensverhältnis hinausgeht. Sowohl die Kinder als auch die Erwachsenen scheinen in diesem abgelegenen Gebäude, mit den vielen leeren, kalten Korridoren gestrandet zu sein – von der Gesellschaft entrückt.

Die im Titel angepriesene Hoffnung spielt sich nur in den Köpfen der Betroffenen ab, wendet sich aber immer wieder gegen sie – beispielsweise in der hoffnungslosen Liebe, die Melanie gegenüber dem Arzt empfindet, die aber aufgrund der kindlichen Naivität und des unterdrückten Triebes des Erwachsenen keine Chance hat. Einzig die Beziehung der Kinder untereinander scheint normal und gesund zu sein. So könnte man Seidl so interpretieren, dass er das von der Gesellschaft als abnormal angesehene als normal entlarvt und dabei die Risse der „normalen“ Fassade des Drumherums aufdeckt. Dies gelingt ihm einmal mehr mit statischen Einstellungen, die nichts dem Zufall überlassen, sich einprägen und noch lange beim Zuschauer nachwirken. Und dann dieses Lied zum Schluss, das man leise versucht ist, mitzusummen, wenn man sich an den Film entsinnt: „If you’re happy and you know it, clap you’re fat…“.

Wie eingangs erwähnt, fand das Thema Sex grosse Beachtung bei den in diesem Jahr eingeladenen Beiträgen. Das machte sich auch eindeutig bei den Sundance-Vertretern bemerkbar, denn wie in den Jahren zuvor, pflegte man auch in diesem Jahr den Austausch mit dem Redford-Festival, das zwei Wochen zuvor im winterlichen Utah stattfand. So titelte The Guardian nicht zu unrecht mit dem passenden Wortspiel „Sundance or „Porndance“?“. Die Berlinale zog mit der Thematik gleich, und zeigte mehrere Filme, die der diesjährigen Sundance-Auflage den schlüpfrigen Anstrich verliehen. Allen voran die beiden Filme Lovelace von Rob Epstein und Jeffrey Friedman sowie Don Jon’s Addiction von Joseph Gordon-Levitt, die beide in der Sektion Panorama liefen.

LOVELACE - USA 2012 Panorama 2013 REGIE: Rob Epstein, Jeffrey Friedman Peter Sarsgaard, Amanda Seyfried © Dale Robinette

LOVELACE – USA 2012
Panorama 2013
REGIE: Rob Epstein, Jeffrey Friedman
Peter Sarsgaard, Amanda Seyfried
© Dale Robinette

In Lovelace tritt Amanda Seyfried (die gleichzeitig auch Les Misérables in Berlin vorstellte) in die Rolle der Pornolegende Linda Lovelace. Das Biopic, in grobkörnigen Retro-Look-Aufnahmen gefilmt, erzählt den rasanten Aufstieg der jungen Lovelace, die obwohl nur 17 Tage im Business tätig, bis heute für ihren Auftritt in Deep Throat Bekanntheit als Porno-Sternchen erlangte. Der Film fokussiert im Wesentlichen die Beziehung zwischen Lovelace und Ihrem brutalen Ehemann Chuck Traynor, den sie als Teenager kennenlernte. Traynor, der zwölf Jahre älter war, schlug sie, vergewaltigte sie mehrfach und zwang sie zur Prostitution, was sie später in ihrer Biografie der Öffentlichkeit mitteilte. Der Film mutet dabei wie eine Mischung aus dem Tina Turner-Film What’s Love Gott to Do with it von Brian Gibson und Boogie Nights von Paul Thomas Anderson an. Peter Skarsgaard als gewaltvoller und erfolgsgieriger Ehemann ohne Skrupel, weiss besonders zu überzeugen. Aber eben, der Film erzählt kaum etwas neues, so wurde die Story bereits in dem Dokumentarfilm Inside Deep Throat aufgerollt, und Boogie Nights hatte den zerstörerischen Charakter der scheinheilig bunt-glitzernden 70er-Jahre Pornoindustrie bereits perfekt durchgespielt. Nichtsdestotrotz weiss der Film aufgrund seiner Bilder, der gelungenen Ausstattung und den Schauspielern zu gefallen. Zu letzterem Punkt tragen u.a. auch die interessant besetzten Nebenrollen mit James Franco als jungem Hugh Heffner oder Chris North (Mr. Big aus Sex and the City) als Pornoproduzent bei.

DON JON'S ADDICTION - USA 2013 Panorama 2013 REGIE: Joseph Gordon-Levitt Scarlett Johansson, Joseph Gordon-Levitt

DON JON’S ADDICTION –
USA 2013
Panorama 2013
REGIE: Joseph Gordon-Levitt
Scarlett Johansson, Joseph Gordon-Levitt

Der andere grosse Sundance-Film Don Jon’s Addiction war das Regiedebüt des talentierten Schauspielers Joseph Gordon-Levitt – ein ehemaliger Kinderstar, der im letzten Jahr mit seinen Auftritten in Lincoln, The Dark Knight Rises und Looper definitv seinen Durchbruch als Darsteller feierte. Dass der Film von einem noch jungen Filmemacher stammt, merkt man ihm von Grund auf an: Levitt inszeniert sich selbst, als zeitgemässen Don Juan, der die Frauen in der Disco gleich reihenweise abschleppt, den wahren sexuellen Reiz jedoch in der einseitigen Rezeption von Internet-Pornografie findet. Erst als die üppige Blondine Barbara – gespielt von Scarlett Johansson und von Levitt genüsslich als Traumfrau inszeniert – kennenlernt, scheint er von seiner titelgebenden Sucht abzuweichen – zumindest dem Anschein nach. Trotz oder gerade wegen der etwas naiven Haltung, sich selbst als muskelbepackten Gigolo zu inszenieren, der jedes Mädchen kriegt, reichert Levitt die Story auch mit genügend Situationskomik und inszenatorisch frischen Einfällen an. Hinzu kommt eine gut aufgelegte Julianne Moore, die Levitt in der Abendschule kennenlernt, und deren schräge Art Eindruck macht. Auch wenn der Film längst nicht perfekt ist und Levitts Motivation der Themenwahl auf der Pressekonferenz etwas spärlich und bedeckt erklärt wurden (Es sei die Wirkung der Medien, die ihn generell interessiere; Internet-Pornografie sei da nur ein Beispiel von vielen), macht der Film Spass, weil er persönlich wirkt und nicht die Absicht hat, jedem gefallen zu müssen.

MES SEANCES DE LUTTE - FRA 2013 Panorama 2013 REGIE: Jacques Doillon Sara Forestier, James Thiérrée

MES SEANCES DE LUTTE – FRA 2013
Panorama 2013
REGIE: Jacques Doillon
Sara Forestier, James Thiérrée

Eine europäische Antwort und weitaus tiefsinnigere Auseinandersetzung mit den Themen Sex und Beziehung lieferte Jacques Doilon mit seinem Spätwerk Mes séances de lutte. Neben ein paar kleinen Nebenrollen dominieren die wunderbare Sara Forestier und James Thiérrée die Szenerie. Sara Forestier, die zuletzt in Les Nom des Gens das Publikum entzückte, spielt hier eine junge Frau, die in einem ländlichen Dorf wohnt und den Tod ihres Vaters verarbeiten muss. Während ihre Geschwister mit der Verteilung des Erbes beschäftigt sind, sucht sie die Nähe zu einem alten Bekannten. Eine verflossene Liebe, die sich damals nie richtig entfalten konnte und offenbar beinahe im Keim erstickt wurde, allerdings auch nie ganz verschwunden war. Die beiden treffen sich nun häufiger, meistens in seinem grossen Haus auf dem Hügel. Ihre Treffen sind von langen Gesprächen geprägt, die von ihrer gemeinsamen Vergangenheit handeln, aber auch den aktuellen Verlust des Vaters der Frau thematisieren. Auch steht die damals verpasste Chance des Sex immer im Mittelpunkt der Gespräche.

So sehr die beiden sich jedoch anziehen, stossen sie sich gleichzeitig auch ab – ohne voneinander lassen zu können. Die impulsive Mischung der beiden schlägt bald ins körperliche, handgreifliche über, spätestens wenn die Frau bewusst zur Verarbeitung des Todes ihres Vaters, diesen auf ihn projiziert. Doch obwohl die Treffen der beiden sowohl psychisch als auch körperlich schmerzlich sind, wirkt das gemeinsame Ringen auf der Couch, dem Fussboden oder im Freien extrem befreiend. Die von Anfang an bestehende sexuelle Spannung zwischen den beiden, lädt sich über die Zeit zunehmend auf, und entlädt sich zum Ende des Films, worauf anschliessend eine Art gereinigte Beziehung in Aussicht gestellt wird. In diesem Sinne war Doilons Werk vielleicht der Paradefilm der diesjährigen Berlinale, weil es ihm gelingt, seine glaubwürdigen Figuren vor eine schwierige Lebenssituation zu stellen, die sie bewältigen, indem sie sich auf tiefe, menschliche Instinkte zurückbesinnen und diese ausloten, um in eine nächste Lebensphase übertreten zu können. Neben Sara Forestier überzeugt auch James Thiérrée, der auf eine Zirkuskarriere zurückblickt und sein akrobatisches Talent passend in das sehr körperliche Schauspiel miteinbringen kann.

AYER NO TERMINA NUNCA - ESP 2013 Panorama 2013 REGIE: Isabel Coixet Javier Cámara, Candela Peña

AYER NO TERMINA NUNCA – ESP 2013
Panorama 2013
REGIE: Isabel Coixet
Javier Cámara, Candela Peña

So intensiv und bereichernd Doilons Film war, so unbefriedigend war der neue Film von Isabel Coixet Ayer no termina nunca, den man durchaus als Pendant zu Mes séances de lutte lesen kann. In einer nahen Zukunftsversion Spaniens treffen sich ein Mann und eine Frau in einem leerstehenden Verwaltungsgebäude. Anfangs ist nicht ganz klar, in welcher Beziehung die beiden stehen. Der Dialog, der im Film zum zentralen Moment wird, deckt jedoch bald auf, dass sie sich gut kennen, ja sogar verheiratet waren. Der Verlust ihres Kindes hat sie hier wieder zusammengeführt und von diesem Trauma, das die beiden in einem verbalen Schlagabtausch zu verarbeiten beginnen, handelt der Film. Javier Camara und Candela Pena sind neben ein paar Statisten in den ersten Einstellungen, die einzigen Schauspieler die man zu Gesicht bekommt. Auch wenn der Film einen längeren Eindruck hinterlässt, als man während des Sichtens erwarten würde, ist das Konzept doch relativ früh durchschaubar und von dem Moment an auch ziemlich langweilig. Das eindimensionale Kammerspiel hat schliesslich einige Journalisten dazu bewegt, den Saal vorzeitig zu verlassen.

A SINGLE SHOT - USA/GBR/CAN 2013 Forum 2013 REGIE: David M. Rosenthal Sam Rockwell, Amy Sloan © A Single Shot Productions Inc.

A SINGLE SHOT – USA/GBR/CAN 2013
Forum 2013
REGIE: David M. Rosenthal
Sam Rockwell, Amy Sloan
© A Single Shot Productions Inc.

Dass nicht alle Filme vorwiegend mit Sex und Beziehungsdramen zu tun hatten, dafür standen unter anderem Ausnahmen wie der sehr gute Genre-Beitrag A Single Shot. Regisseur David M. Rosenthal besetzt in diesem White-Trash-Thriller im bergigen Hinterland der USA Sam Rockwell in einer Paraderolle. Die düsteren, oft von dickem Nebel bedeckten Bilder zeichnen eine starke Atmosphäre. So ist man als Zuschauer gleich von Beginn an mittendrin, wenn Rockwell als Wilderer auf die Jagd geht. Sein Ziel: ein Hirsch, auf den er mit seinem Gewehr mehrere Schüsse abfeuert. Nur einer trifft, doch nicht den Hirsch, sondern eine junge Frau, die Rockwells Figur durch das Dickicht schlicht nicht sehen konnte. Die Unbekannte stirbt noch an Ort und Stelle und der Jäger trifft eine Entscheidung mit fatalen Konsequenzen. Er schleift die Tote an eine verlassene Baustelle und versteckt sie in einem Container. Wäre dies nicht schon Schicksalsschlag genug, findet er an diesem ungemütlichen Ort auch noch einen Sack voller Geld, von dem er natürlich nicht die Finger lassen kann. Fortan bedroht ihn ein wissender Anrufer, seine Familie ist in Gefahr und der Hund kommt als erster um die Ecke – ganz getreu den Formeln des Genres. Doch Rosenthal findet hierfür Bilder, die den Film weit über den Durschnitt hieven und zu einem spannenden, sehr dichten Nervenspiel à la A Simple Plan oder Straw Dogs machen. Neben Sam Rockwell tragen weitere Grössen wie Joe Wright oder William H. Macy zum Gelingen dieser Berlinale-Entdeckung bei – feierte der Film immerhin in der Sektion Panorama seine Weltpremiere.

FRANCES HA -  USA 2013 Panorama 2013 REGIE: Noah Baumbach Greta Gerwig © 2012 Pine District, LLC

FRANCES HA – USA 2013
Panorama 2013
REGIE: Noah Baumbach
Greta Gerwig
© 2012 Pine District, LLC

Mit Frances Ha lief ein weiterer amerikanischer Film im Panorama. Noah Baumbachs Neuer ist schlichtweg ein kleines Meisterwerk, bei dem der einzige Wehrmutstropf vielleicht darin lag, dass der Film bereits auf mehreren Festivals lief, in Berlin jedoch immerhin Europapremiere feierte. Schon in Filmen wie The Squid and the Whale oder Greenberg stellte Baumbach skurrile Figuren ins Zentrum, die aufgrund ihrer Authentizität schnell zu Sympathieträgern werden und genügend Projektionsfläche bieten, so dass man sich als Zuschauer irgendwo in ihnen wiederendeckt – auch wenn es nur facettenweise ist. Frances Ha ist ein “New York Film”; ein Film, der nicht über New York handelt, aber von der speziellen Atmosphäre New Yorks zeugt und die Stadt zum Nebendarsteller macht – auch wenn es einen herrlichen Abstecher nach Paris gibt. In diesem Sinne und auch in den scharfen Schwarzweiß-Bildern erinnert der Film an Woody Allens Manhatten, aber auch an andere Filme von Allen. Denn wie dem Altmeister gelingt es Baumbach seine Figuren von einer Konfrontation in die nächste zu bewegen, stets mit lakonischem Humor und so, dass es äusserst beiläufig wirkt. Greta Gerwig spielt eine Stadtneurotikerin, die auf die 30 zugeht, doch nie so richtig Erwachsen geworden ist. Mit ihrer besten Freundin und Mitbewohnerin lebt sie beinahe schon wie ein altes Pärchen – die beiden teilen alles. Als ihr Freund dann unverhofft fragt, ob sie mit ihm zusammenziehen möchte, ist die Sache für sie sofort klar: Eine beste Freundin gibt es nur einmal, Jungs gibt es viele. Kurz darauf jedoch muss sie feststellen, dass ihre beste Freundin dies offenbar nicht ganz so sieht. Diese folgt dem Rufe des lockenden Familienglücks und zieht bald schon mit ihrem Freund zusammen. Während die Freundschaft zwischen den beiden Frauen immer weiter in die Ferne rückt, ist es für Gerwigs Figur keine Leichtigkeit, ganz allein mit beiden Füssen auf dem Boden zustehen. Ihr Job als Tanzlehrerin ist in Gefahr, sie wechselt mehrmals Wohnung und Mitbewohner und steht an einem Punkt im Leben, an dem es gilt, sich langsam aber sicher zu entscheiden, was man will. In diesem Sinne ist Frances Ha auch ein Coming of Age-Film für Nachzügler, trifft aber für eine Generation von vielen arbeitslosen Studenten ziemlich ins Schwarze. Dies auch aufgrund der zahlreichen Figuren, die lebensecht und dabei äusserst unterhaltsam wirken. Nicht zuletzt Greta Gerwig selbst, die sich einmal mehr als weibliche Galionsfigur des heutigen US-Independetfilms beweist und eine starke Frauenfigur verkörpert – aber auch mit ihrer Mimik und Gestik für die nötige Portion Humor sorgt.

Die Berlinale bleibt ein Festival-Monster – ein schaurig-schönes. Eines, das man kaum bezwingen kann, dem man sich nur anzunähern mag und dabei jederzeit in den Bann gezogen wird – mit der Gefahr den Anschluss zu verlieren, zu spät in die nächste Vorstellung zu gelangen. Enttäuschungen so wie freudige Entdeckungen gehen hier Hand in Hand – eine Achterbahnfahrt der Gefühle im Kinosaal. Der Andrang ist gross – auch für Akkreditierte –, doch die Organisation ist ebenso grossartig. Stars sieht man hier aus nächster Nähe durch die Räumlichkeiten schlendern: wie etwa Tim Robbins – in Wirklichkeit ein Hühne! –, der als Jurymitglied brav den Abspann abwartet, bevor er seinen Hut aufsetzt und sich durch die dicht bevölkerten Kinogänge an die frische Luft begibt. Die Berlinale unterhält, sie regt an, ist attraktiv, bunt, sie ist anstrengend und erfordert Konzentration, provoziert, und ist in diesen Eigenschaften ganz bei der Sache – nämlich beim Film, dem Sie sich jährlich in ihrer feurigroten Schönheit gebändigt zu Füssen legt. Auf ein Wiedersehen!

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