All is Lost![]() Land: USA Regie: J.C. Chandor Drehbuch: J.C. Chandor Schauspieler: Robert Redford Kamera: Frank G. DeMarco Schnitt: Pete Beaudreau Musik: Alex Ebert Laufzeit: 106 Minuten Kinostart: 12.12.2013 Verleih: Universal Pictures International Switzerland Weitere Infos bei IMDB |
Verloren sein oder alles verlieren
von (dap)
Robert Redford spielt in J.C. Chandors neuem Film einen Skipper, der nach einer Kollision mit einem Fracht-Container immer weiter auf einen unvermeidbaren Kampf ums Überleben zusteuert. Ein äusserst spannender Film, der sich voll und ganz auf seine namenlose Hauptfigur und deren einfallsreiche Vorgehensweise in einer aussergewöhnlichen Lage fokussiert.
Ein Seemann, verloren auf dem weiten Blau des indischen Ozeans. Man könnte meinen, der schlichtere Titel “Lost” würde noch besser passen, allerdings geht es hier um die Frage der Perspektive. Denn die ist im neuen Film von J.C. Chandor (Margin Call) entscheidend – und so auch der Titel. Bevor der Film acht Tage zurück an den Anfang der Katastrophe springt – dann, wenn das Segelschiff des namenlosen Protagonisten von einem an der Wasseroberfläche treibenden Seefracht-Container getroffen wird und zum ersten (aber nicht einzigen Mal) die Kajüte überflutet wird –, richtet sich die Hauptfigur an seine Hinterbliebenen. Er liest seinen reumütigen Abschiedsbrief vor, den er gegen Ende des Films als Flaschenpost ins Wasser werfen wird. Die Zeilen sind knapp, aber die Worte sind präzis und einsichtig gewählt. Nicht er ging verloren. Er hat etwas verloren, und das schon lange Zeit vor seinem einsamen Segelturn irgendwo in der Nähe von Malakka. Er wird im Laufe des Films noch mehr verlieren, bis am Ende nichts mehr übrig bleibt.
- ©Universal Pictures International Switzerland
- ©Universal Pictures International Switzerland
- ©Universal Pictures International Switzerland
Robert Redford spielt grossartig. Sein Alter steht ihm ins Gesicht geschrieben. Entsprechend sind auch seine Bewegungen träge und seine Hände zittern, wenn er ein Navigationsbuch öffnet oder eine zum Trocknen aufgehängte Seekarte zusammenfaltet. Sein Geist ist jedoch umso wacher. Seine Vorgehensweise scheint gerade aufgrund seiner körperlichen Eingeschränktheit als alter Mann sehr bedacht. Seine Augen leuchten, wenn ihm eine neue Idee einfällt, wie er aus den immer wiederkehrenden Sackgassen mit einem genialen Einfall oder einem gelernten Trick eines erfahrenen Seemanns, herausfinden kann. All Is Lost dient somit auch als Sammelsurium von Anleitungen für Schiffbrüchige. Anders als der fantasievolle Life of Pi – dessen Held sich in einer ähnlichen Ausgangslage befindet – geht es in Chandors Film um das Know-how. Wie repariert man ein Loch in der Schiffsseite? Wie orientiert man sich an den Gestirnen? Wie bereitet man sich auf ein Unwetter vor? Wie rationiert man die Nahrungsmittel? Alles Fragen auf die der Film Antworten liefert und dafür auch beeindruckende Bilder findet. Zum Beispiel wie sich der Protagonist zwecks Reparatur den gefühlt 100 Meter hohen Mast hoch zieht. Die Kamera folgt ihm dabei, filmt waghalsig in die Tiefe. Keine Einstellung scheint unmöglich, auch die Fischperspektive von unten auf das spätere Rettungsgummi-Boot beeindruckt und vermittelt einen omnipräsenten, allwissenden Blick auf die immer wieder von Hoffnungsschimmern geprägte, aber doch ausweglose Situation.
- ©Universal Pictures International Switzerland
- ©Universal Pictures International Switzerland
- ©Universal Pictures International Switzerland
Der Film erzählt von einer Odyssee, und nimmt eine Perspektive ein, die ausschliesslich auf Redfords Figur, die sinngemäss nur als „unser Mann“ benannt ist, gerichtet ist. Der Film kommt ohne Dialog aus, nur eine fremde Stimme aus dem Funkgerät ist zu hören. Als überlegter, introvertierter Denker führt er keine Selbstgespräche, weswegen Wortfetzen wie „God!“ oder ein auffällig emotionales „Fuck!“ (dann wenn das Trinkwasser ungeniessbar wird) die einzig verständlichen Worte bleiben – abgesehen von den nicht erwiderten Notrufen und dem Monolog zu Beginn.
Der auf dem einsamen Ozean verlorene Held ist ein altes Motiv. Dementsprechend bedient sich Chandor auch den Stilmitteln des Genres wie dem sich anbahnenden Unwetter, der stechenden Sonne oder der im Wasser lauernden Haie. Was den Film besonders macht, ist die realistisch gefasste Umgangsweise der Hauptfigur mit der prekären Situation. Woher er kommt, warum er hier ist, wissen wir nicht. Die theatralische, sich wiederholende Musik deutet das Unheil immer wieder an. Wird er am Ende gerettet oder nicht? Der Film lässt dies offen, wenn auch nicht ganz. Man könnte sagen, auch dies bleibt eine Frage der Perspektive.
Anmerkung zum aktuellen Kino: Nachdem das Segelboot gesunken ist, treibt unser Mann im Gummiboot auf einen Seeweg für Transportschiffe zu. Ein riesiges Frachtschiff kommt ihm entgegen, übersieht den Hilfesuchenden jedoch unglücklicherweise. Ein – wenn auch wohl nicht bewusster –Verweis auf den derzeit ebenfalls im Kino laufenden Captain Phillips – indem Tom Hanks Kapitän eines genau solchen Schiffes ist, das von Piraten gemeutert wird. Dem Kenner beider Filme liefert dies vielleicht eine Begründung warum Redford übersehen wird. Vielleicht ist es auch nur eine Metapher für die bevorstehende Oscar®-Verleihung: Zumindest für die Golden Globes sind sowohl Hanks als auch Redford nominiert.
Leave a Reply