von (dap)
In Frankfurt am Main fand vom 27. Mai bis 1. Juni zum 14. Mal das japanische Filmfestival Nippon Connection statt. Die Filmstätten Naxoshalle, Filmmuseum, Mal Seh’n Kino und der Mousonturm standen während dieser Zeit ganz im Zeichen des japanischen Filmschaffens. Aber nicht nur für Cineasten hat das grösste japanische Filmfestival ausserhalb Japans etwas zu bieten. Die weiss-pinkig gestalteten Festivalzentren versprühten über die Filme hinaus einen Hauch von japanischem Kulturtreiben: Exquisite Speisen, eine Karaoke-Bar, handwerkliche Kurse in Origami, künstlerische und musikalische Aufführungen und vieles mehr. So traf man neben Regisseuren, Drehbuchautoren und Darstellern aus dem Land der aufgehenden Sonne auch zahlreiche Kulturvertreter verschiedener Orte Japans, die nicht müde wurden auf die besondere Schönheit ihrer Stadt hinzuweisen. Und es wirkte: manch einer dürfte aufgrund dieser zahlreichen Anreize tatsächlich versucht sein, den nächsten Urlaub in Richtung Japan zu planen. Die zahlreichen Reisebroschüren, die überall auflagen, kamen da gerade recht.
Im Zentrum standen aber besonders die interessanten Eindrücke auf der Leinwand. Obwohl die Filme allesamt japanische Produktionen waren, so hätten die Filme nicht unterschiedlicher sein können. Und doch gab es immer wieder die kulturbedingten Gemeinsamkeiten unter den Filmen, die man in den verschiedenen Programmreihen sehen konnte: Das gemeinsame Essen auf dem Boden – Nudeln, Reis, Fisch…, Schulmädchen, Essstäbchen, Kimono, Neonlichter, Manga, Gestikulation, Yakuza, Tokyo, Games, Mimik, Kitsch etc. Die filmische Überdosis an japanischem Kulturgut und Habitus fährt ein. Vier, fünf Filme und man hat das Gefühl, man sei in Japan – nur das Japanisch, damit hapert’s noch ein bisschen. Die Filme liefen darum auch untertitelt – meist nur auf Englisch. Das Q&A mit den Verantwortlichen löste auch eine grosse Bewunderung für die Übersetzer aus, denn es wurde oft nicht Englisch gesprochen, sondern von Japanisch auf Deutsch übersetzt – und umgekehrt.
Filmisch waren kaum Grenzen gesetzt – was wiederum generell ganz charakteristisch für das japanische Kino ist. Klar waren auch in diesem Jahr Filme der zwei grossen Genrekünstler im Programm vertreten: Lesson of the Evil von Takashi Miike und Why don’t you play in hell? von Shion Sono. Diese beiden Namen dürften wohl jedes Jahr für ausverkaufte Plätze sorgen. Gut, dass die beiden Zugpferde so fleissig arbeiten und durchschnittlich zwei Filme pro Jahr abliefern. Leider waren sie nicht persönlich answesend, was vielleicht auch mit der Qualität ihrer Beiträge zu tun hatte:
Lesson of the Evil – der übrigens schon am 13. Juni auf Blu-ray erscheint – erinnert an Battle Royal – in dem sich Schüler in ihren Uniformen reihenweise umnieten. Ging in Kinji Fukasakus neuzeitlichem Klassiker die Gefahr noch von den Mitschülern selbst aus und übte eine ordentliche Portion Sozialkritik, läuft bei Miike ein Lehrer Amok. Und das tatsächlich so, wie man es aus den Nachrichten über die zahlreichen Schulmassaker der letzten fünfzehn Jahre immer wieder geschildert bekommen hat (nur eben, dass es da meistens Schüler sind). Dies ist verwerflich und die letzte halbe Stunde eine Tour de Force in Sachen sinnloser Gewalt, die man so nicht zeigen müsste. Zu dünn geraten ist die Story über den durchdrehenden Lehrer, der seine Schülerinnen verführt und einen kranken Plan einfädelt, worin seine ganze Klasse schlussendlich dran glauben muss. Zwar gibt es – wie so häufig im japanischen Film – grotesk-komische-Szenen, welche die harte Gewaltdarstellung etwas abmildern sollen – z.B. ein Lehrer, der seinem Gegenüber ständig ins Gesicht hustet oder Waffen, die im Auge des psychopathischen Lehrers plötzlich Gesichter à la Cronenberg erhalten, und sprechen -, doch wirkt das Brutalo-Ende zu nah an real-geschehenen Ereignissen, so dass man diesen Film nicht weiterempfehlen kann. Und überhaupt: wann hat Miike eigentlich seinen letzten guten Film abgeliefert?
Da wusste der neue Film Why don’t you play in hell? von Shion Sono schon mehr zu gefallen. Ganz zu Beginn sieht man eine Zahnpasta-Werbung, mit einem herumtanzenden kleinen Mädchen und einem – in meinem Falle, mich das ganze Festival über begleitenden – Werbespot mit Ohrwurmcharakter. Immer wieder kommt dieses banal-doofe (und dafür umso effizientere) Lied aus der Werbung vor und spinnt so etwas wie einen roten Faden für die verrückten Zufälle des Geschehens. Ein Film, der ziemlich abstrus ist – gut, das kennen wir von Sono spätestens seit Love Exposure – aber trotz der Ereignisse, die gar nicht so einfach nachzuerzählen sind, in sich stimmig wirkt. Im Grunde genommen geht es um zwei verfeindete Yakuza-Gangs und eine Filmcrew mit einem Regisseur, der kein Talent hat, aber auf den grossen Moment wartet, um ein Meisterwerk zu drehen. Das alles vereinende Moment des Films ist letztendlich das kleine Mädchen aus der Zahnpasta-Werbung, mit dem Namen Michiko. Zehn Jahre sind vergangen, seit die beiden Banden das letzte Mal aufeinandertrafen, Michikos Mutter zum Messer Griff und die Kleine das wortwörtliche Blutbad (Rutschpartie inklusive) mitansehen musste. Das Mädchen ist inzwischen zu einer wunderschönen, wenn auch wenig erfolgreichen Schauspielerin herangereift und tanzt ihrem Vater – dem Yakuza-Boss – auf der Nase herum. Dieser entschliesst sich seiner Tochter auf die Sprünge zu helfen und einen Film zu drehen. Schliesslich kommt es tatsächlich zu diesem Vorhaben: Michiko und ihr Zufalls-Boyfriend überreden – auch diese Begegnung ist rein zufällig – die durchgeknallte Filmcrew zum ultimativen Dreh. Handlung? Nichts Geringeres als der infernale Endkampf zwischen den beiden Yakuza-Clans – also quasi eine Snuff-Doku, auch wenn das so nie erwähnt wird. Klingt total verrückt? Ist es auch! Sonos Absicht scheint es gewesen zu sein, Tarantinos ikonografische „The Bride vs. Crazy 88“-Szene am Ende von Kill Bill Vol. 1 blutiger und durchgedrehter nachahmen zu wollen – was man je nach Art der Betrachtung als gelungen bezeichnen kann. Für den Weg dorthin war ihm wohl jedes Mittel recht. Das Resultat ist ein abgehobenes Werk mit lustigen Zitaten – so gehört zur Filmcrew auch ein designierter Bruce Lee Wannabee -, der sich selbst keine Sekunde ernst nimmt und so auch verstanden werden will. Und der Ohrwurm bleibt: „ … let’s go!“
Weitaus gemächlicher war der „Stadt-Film“ Yokohama Story. Vor der Vorführung war sogar ein Botschafter der Stadt anwesend (in passendem Gewand), der ein paar werbewirksame Worte für Touristen sagte, und darauf verwies, dass Yokohama und Frankfurt Schwesterstädte seien – was ja ganz gut passte. Yokohama Story erwies sich dann auch tatsächlich als die herzerwärmende Geschichte, die man dem Publikum angekündigt hatte, und liess Einwohner und Stadt in gutem Licht dastehen. Der Film handelt von einem Witwer, der mit seiner neuen Situation erst noch zurechtkommen muss und einer jungen Managerin für Musikbands begegnet, die gerade ihren Klienten und somit auch ihren Freund – den Leadsänger – an eine Konkurrentin verloren hat. Die Begegnung der beiden ist zufällig, doch von da an überlässt die aufgestellte junge Frau nichts mehr dem Zufall. Sie zieht kurzerhand bei dem kauzigen alten Herrn ein, der anfangs gar nicht weiss, wie ihm geschieht, doch von der Einsamkeit genug hat und die junge Frau bei sich wohnen lässt – auch wenn sich ihre angekündigten Kochkünste und tatkräftige Unterstützung nicht bewahrheiten werden. Stattdessen gabelt sie im Park eine junge Mutter und deren Sohn auf, die vom Vater davonlaufen und macht sie zu Mitbewohnern. Im Sinne eines „Shared-House“ kommen bald noch zwei weitere Damen hinzu, was der Witwer mehr oder weniger wiederstandslos akzeptiert. Denn der Pensionär blüht im Zusammensein mit den sympathischen jungen Frauen wieder neu auf. Der Schmerz des Verlustes sitzt aber nach wie vor tief. In Rückblenden sieht man Beziehungsfragmente, der langjährigen Ehe, in der seine Frau wiederholt versucht hatte, Impulse zu setzen um das gemeinsame Glück zu fördern, was von dem griesgrämigen Trotzkopf jeweils unerwidert blieb. Dies scheint ihm erst jetzt bewusst zu werden und das Zusammenleben mit den jungen Frauen, gibt ihm die Chance, das verpasste Glück nachzuholen und vor allem anderen zu helfen und Ihnen kleine Freuden zu bereiten.
Ein Feel-Good-Movie der besseren Sorte. Zwar bleibt die Bedrohung des Glücks – in Form einzelner Personen wie etwa die des Sohnes – ziemlich wage, jedoch sind es auch nicht die äusseren Bedingungen, die es zu bewältigen gilt. Sondern der Film handelt von der inneren Verarbeitung eines schweren Verlustes, von Vergangenheitsbewältigung und der Eigenschaft Glück als solches zu erkennen. Die sympathischen Figuren runden das positive Erlebnis ab.
Bon Lin von Keiichi Kobayashi wurde dem Frankfurter Publikum als Weltpremiere vorgeführt. Der Film handelt von sogenannten Otakus, japanischen Extremnerds, die sich ganz der objektzentrierten Welt von Animes, Mangas, Figuren, Games usw. verschrieben haben und für diese Kulturgüter Geld und Zeit opfern. Der Film handelt von zwei Teenie-Otakus, die zusammen mit einem Erwachsenen Otaku ihre Freundin – ein Sex-Slave-Girl – aus den Fängen der Tokioter Prostitution befreien möchten. Die drei Nerds referenzieren sich in ihrer sehr eigenen „Boys Love“-Sprache ständig auf ihre Lieblingsfiguren aus den vergötterten Mangas. Für Aussenstehende wirkt dies etwas merkwürdig, entwickelt aber dennoch eine gewisse Sympathie und Interesse für diese speziellen Charaktere. Sie erbauen sich ihre eigene Welt; so hat der „Erwachsene“, seine ganze Wohnung mit Mangaschulmädchen zugekleistert, wofür die oberkluge Anführerin der kleinen Gruppe, nur Abscheu übrig hat. Als Zuschauer, der sich in der Welt der Otakus nicht besonders gut auskennt, wirkt das alles sehr speziell aber durchaus unterhaltsam. Der Film stellt sich der Schwierigkeit, eine gedanklichen Fantasiewelt abzubilden, in die man so nie einen Einblick erhält – denn auf Animationen oder fantastische Elemente verzichtet Kobayashi. So erweist sich der Film als ziemlich dialoglastig, gibt aber einen glaubwürdigen Einblick in den Alltag eines Otakus – der nüchtern betrachtet ziemlich unspektakulär abläuft, weil sich eben vieles dieser Subkultur rein in der Sprache und vor allem im Kopf der Beteiligten abspielt. Schlussendlich ist der Film ein Plädoyer dafür, dass diese Fankultur auch nur aus ganz normalen Menschen besteht. Wie Kobayashi in der anschliessenden Fragerunde erklärte, sei man in Japan zwar keineswegs rassistisch gegenüber Randgruppen, aber sehr harsch im Verurteilen von bestimmten Hobbys – wie eben jenes der Otakus. Mit seinem Film gelingt ihm ein sehr menschlicher Blick auf die Ausführenden dieses besonderen Hobbys, das oft in den Zustand einer Zwangsstörung kippt.
Timo Tjahjanto und Kimo Stamboel – auch bekannt als The Mo Brothers –
mischen zurzeit im Horrorgenre vorne mit. Nach dem Slasherfilm Macabre lieferte Tjahanto seinen Teil zu The ABCs of Death, während sie wieder gemeinsam an VHS 2 arbeiteten und mit Safe Haven, den besten Beitrag der Kompilation ablieferten. Mit Killers gehen sie nun einen Schritt weiter auf ihrem durchaus erfolgreichem Weg als indonesisches Duo fürs Eingemachte. Wie der Titel schon sagt, handelt der japanisch-indonesisch koproduzierte Film von mehreren, um genau zu sein, von zwei Killern. Der erste wird einem auch gleich als solcher kompromisslos vorgestellt: als er eine junge Frau in seinem Folterkeller malträtiert und mit weisser Kapuze den brutalen Mord filmt. Die Szene ist rau und hat eine unangenehme Wirkung auf den Zuschauer – aber nicht nur auf jene im Kino. Denn nach seiner Tat verlässt er sein Refugium, geht samt Stick ins nächste Internetcafé und lädt seine frische Tat auf einer Plattform für Gleichgesinnte hoch. Dies geschieht in Tokyo, doch bekanntlich kennt das Internet keine Grenzen, so dass auch Bayu dieses Video in Jakarta anschauen kann und eine düstere Faszination dafür entwickelt. Der geschiedene Familienvater ist seines Zeichens Journalist und steht im Disput mit einem Oligarchen, der soeben ein weiteres Mal von einer Anklage freigesprochen worden ist.
Soweit, so gut. Der Film ragt in seiner Ästhetik, in der Entwicklung der Charaktere und auch in seinem geografischen Ansatz weit über den Genrebrei hinaus. Hinzu kommen zwei äusserst charismatische Darsteller, von denen insbesondere der Japaner Kazuki Kitamura völlig in der Rolle des psychopathischen Killers aufgeht, wiederholt aber auch seine labil-verletzliche Seite zutage bringt. Der Film spricht den Diskurs der inexistenten Grenzen des Internets an, und welche Gefahren sich dahinter verbergen. Technologisch nicht immer ganz adäquat zeigt der Film auf, wie im Netz Menschen auch mit krankhaften Neigungen zusammenfinden und welche Konsequenzen dies haben kann.
Beruflich ruiniert, familiär versagt, wird Bayu bei einer nächtlichen Taxifahrt durch Jakarta auch noch um sein Leben bedroht. Als er im letzten Moment den Spiess umdrehen kann und seine Widersacher in Notwehr tötet, wird auch er zum filmenden Voyeur. Er lädt das Video auf besagter Plattform hoch und findet bald den Kontakt zu seinem japanischen Vorbild. Fortan entwickelt die Story eine Dualität, in der sich die beiden Killer quasi gegenseitig über das Netz mit ihren Morden anspornen. Während der Japaner bei seinen weiblichen Opfern bleibt, geht der Indonesier dem Clan des Oligarchen nach. Beide gehen dabei nicht zimperlich mit ihren Opfern um und verlangen dem Kinozuschauer starke Nerven ab. Am Ende werden die Storylines schliesslich örtlich und zeitlich zu einem konsequenten Finale zusammengeführt. Der Film dürfte noch für einige Diskussionen sorgen!
Die Gewinner des diesjährigen Festivals waren:
Gewinner des NIPPON CINEMA AWARD 2014:
PECOROSS’ MOTHER AND HER DAYS von Azuma MORISAKI
Gewinner des NIPPON VISIONS JURY AWARD 2014:
ANTONYM von Natsuka KUSANO
Special Mention: FRIENDSHIP von Mikihiro ENDO
Gewinner des NIPPON VISIONS AUDIENCE AWARD 2014:
TALE OF A BUTCHER SHOP von Aya HANABUSA
Gewinner des VGF NIPPON IN MOTION AWARD 2014:
ONIGIRI NO ORIGAMI von Christine Mai & David Clausmeier
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