Mamoru Oshiis neuster Film ist ein langatmiges, wenig berauschendes Werk, das nur mit einer kurzen, toll inszenierten Kampfszene und wenigen optisch interessanten „pillow shots“ punkten kann.
Die Aussentemperaturen sind hoch und die Luft im Kinosaal zum Schneiden dick. Das NIFFF hat ursprünglich versucht, die Miniserie The Next Generation Patlabor, eine Realverfilmung von Mamoru Oshiis berühmter Anime-Serie Patlabor, an den Neuenburgersee zu holen. Aus rechtlichen Gründen hat dies aber nicht geklappt, dafür hat der Japaner dem Schweizer Festival seinen neusten Realfilm Nowhere Girl überlassen. Weltpremiere in Neuchatel! Oshii, der für immer mit der herausragenden Anime-Adaption von Masamune Shirows Ghost in the Shell in Verbindung gebracht werden wird, ist Publikumsmagnet und feste Grösse im Kreis der Anime-Regisseure. Nur, mit seinen Realfilmen tat sich der Japaner immer schwer. Avalon teilte die Fangemeinde in zwei Lager, wobei meine Wenigkeit die Darstellung von realer und virtueller Realität, als Wiedergabe einer Läuterung einer Gamesüchtigen, mit ihrer Level-artigen Transzendierung von Spielewelt zur Wirklichkeit und ihrer visuellen Präsentation, in seiner Oshii-typischen Langsamkeit als schlicht herausragend erachtet.
In Nowhere Girl sucht man hingegen vergeblich nach Tiefgang. Ein Problem, das bereits in Assault Girls zu Tage tritt, wobei jener Film auch nicht mehr als eine Mischung aus Stilleben und Sci-Fi-Schlachten sein will. Aber Oshiis neuster Film versucht tatsächlich eine Geschichte zu erzählen – allerdings nicht nach einem eigenen Drehbuch. Schauplatz ist eine Mädchenklasse, in der eine Schülerin aus dem Rahmen fällt. Apathisch und in ihren eigenen Gedanken versunken, versucht sie dem Kunstuntericht zu folgen, verlässt die Schulstunden aber stets viel zu früh, um an einem eigenen Projekt, ein grosses Metall-Konstrukt, zu arbeiten. Die Mitschülerinnen und die Lehrer sind verärgert, weil die Schulleitung das ungehorsame Verhalten duldet. Die Krankenschwester hat ein Trauma diagnostiziert, was die Mitschülerinnen aber nicht davon abhält, die Aussenseiterin bei jeder Gelegenheit zu ärgern. So vergeht eine gute Stunde des Films in einer unspektakulären Langsamkeit und im öden Setting zweier Schulzimmer, während Wolfgang Amadeus Mozarts Addagio des Klavierkonzerts Nr. 23 fast nonstop das Geschehen untermalt. Im letzten Abschnitt lässt Oshii das Mädchen mit aller Brutalität gegen bewaffnete Eindringlinge antreten. Ai die Superkämpferin schiesst sich durch die Schulhausgänge und hinterlässt eine breite Blutspur.
Es bleibt die Frage, ob mir ein interpretatorisch wichtiger Hinweis entgangen ist oder ob sich wirklich nicht mehr hinter diesem Plot verbirgt. Hat Oshii seine Hinweise zur Aufschlüsselung stärker denn je beschnitten, so dass die Hauptaussage gänzlich verloren ging? So mein erster Eindruck. Nachdem sich der Film gesetzt hat, ist klar, Oshii will Realität und Fiktion gänzlich verwischen, die Langsamkeit scheint Konzept, so dass sich der Zuschauer in der Monotonie der Protagonistin wiederfindet. Der interpretatorische Schritt am Schluss, dass Ais Realität, der tägliche Kampf mit dem Kunstunterricht, den Mitschülern und Lehrern ihr ganz persönlicher Krieg ist, den sie – aus ihrer Sicht – mit Bravour, ja übermenschlichen Fähigkeiten meistert, sie sich Bewunderung und Akzeptanz erhofft, in einer erträumten Realität, in der ihre gemeinen Mitschülerinnen nicht als Gegner, sondern als Mitstreiterinnen in den Kampf ziehen, scheint nicht fern. Ja, man kann in Nowhere Girl so einiges hineininterpretieren, es macht sogar Spass, mit verschiedenen Realitätsebenen zu jonglieren und nach raren Hinweisen und Verbindungsstücken zu suchen, die die eigene Theorie untermauern würden – typisch Oshii. Nichtsdestotrotz bleibt Nowhere Girl ein sperriges, zu grossen Teilen inhaltlich auch langweiliges Werk. Für Oshii ist es definitiv wieder Zeit für einen Anime-Langfilm.
Nowhere Girl (Tokyo Mukokuseki Shojo)![]() Land: Japan Regie: Alex Garland Drehbuch: Kei Yamamura Schauspieler: Kanon Hanakage, Hirotarô Honda, Nobuaki Kaneko, Lily, Nana Seino, u.a. Kamera:Mitsuo Matoba Schnitt: Atsuki Sato Musik: Shuhei Kamimura Laufzeit: 85 Minuten Kinostart: 25.07.2015 (in Japan) Verleih: – (Festival) Weitere Infos bei IMDB |
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