von Sarah Stutte
Vom 17. bis zum 27. Februar 2010 war in Zürich wieder ewz.stattkino-Zeit. Bereits zum elften Mal wartete das beliebte Nischenfilmfestival mit einem beeindruckenden Programm auf. Was am stattkino (welches vom Elektrizitätswerk Zürich gesponsert wird, darum das Kürzel) so besonders ist: Hier feiern wahre Filmklassiker sowie vergessene und unvergessene Perlen nicht nur eine Rückkehr auf die grosse Leinwand, sondern werden mittels Live-Synchronisationen, Lesungen, Tanz-Shows, DJ-Einlagen oder Duftuntermalungen vom Publikum mit allen Sinnen erlebt und dabei völlig neu entdeckt. Ich selbst hatte Tickets für vier der insgesamt 17 Filme gelöst und war recht begeistert, weshalb ich euch nun meine Eindrücke zu den einzelnen Vorstellungen schildern möchte. Im Anschluss folgt ein Interview mit Nani Khakshouri, die seit der Geburt des Festivals für die Programmation zuständig ist.
En Effeuillant La Marguerite (Frankreich, 1956)
Kurz bevor Brigitte Bardot 1956 im Film Et Dieu… créa la femme (…und immer lockt das Weib) den internationalen Durchbruch erlangte, konnte man ihre erotische Ausstrahlung im selben Jahr als entblättertes Gänseblümchen bewundern. Doch in der Nocturne-Vorstellung des Kinos Arthouse Le Paris erwartete den interessierten Zuschauer (und die Zuschauerin, denn ihre Männer wollten anscheinend viele Frauen nicht alleine gehen lassen) weitaus mehr als die nackten Tatsachen des einstigen Sexsymbols. Während also die Stripsequenzen der Bardot in schwarz-weiss von der Leinwand flimmerten, kam zweimal live und in Farbe die Burlesque-Tänzerin LouLou BonBon auf die Bühne und entledigte sich, musikalisch stimmig untermalt, nach und nach Handschuhen, der Federboa, dem Korsett und den Schuhen. Weil das Ganze eher Richtung New Burlesque (Fokus liegt hier deutlicher auf unperfekten Körpern, die Tanzvorträge sind ironischer und die letzten Hüllen fallen nicht) ging, blieben die Brustwarzen selbstverständlich verdeckt. Die Show an sich war super und passte auch zum Film, nur die richtige Laune wollte im Saal trotzdem nicht aufkommen. Womöglich lag dies an der Örtlichkeit, denn eine Burlesque-Vorführung im Kino ist doch eher ungewöhnlich. Oder – wahrscheinlicher – am Publikum selbst: Das war dezent und zurückhaltend, klatschte zwar anständig, doch männliche Jubelschreie wurden von den schon angesprochenen weiblichen Aufpasserinnen, die rechts und links zu ihrer Seite sassen, im Keim erstickt. Schade drum.
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Fotos: © 2010 Thomas Entzerot
Chihiros Reise ins Zauberland (Japan, 2001)
Den bisher einzigen Animationsoscar für Japan gewann dieses von Hayao Miyazaki meisterlich umgesetzte Zeichentrickabenteuer. Farbenfroh, vielschichtig und mit so vielen wunderbaren kleinen Details: Ein phantasievolles Kleinod, das seinesgleichen sucht. Der Film an sich ist also schon ein absolutes Ereignis. Spannend dazu die Idee, ihn mit eigens von einem Parfumeur kreierten Düften zu erfahren, die verschiedene optische Eindrücke des Animes (zum Beispiel den Auftritt des stinkenden Faulgottes) olfaktorisch noch verstärken sollten. Im EWZ-Unterwerk Selnau postierten sich deshalb in jeder Ecke und mittig des Raumes in weisse Schutzkleider gehüllte Menschen mit riesigen, tragbaren Ventilatoren um den Hals. Kongruent sollten Duft und Filmstelle sein, weshalb mit Walkie-Talkies der jeweilige Einsatz bekannt gegeben wurde. Meine Begleitung und ich, die im Mittelgang sassen, hörten jeweils die Anweisungen, uns wehte auch der Wind ziemlich oft durchs güldene Haar, doch von den Gerüchen selbst bekam ich nicht allzu viel mit. Einmal vernahm ich einen Currygeruch, der nicht so gut passte, dann schmeckte ich Blumen in einer Badehaussequenz heraus und zu guter Letzt blieb mir der Faulgott ausser im Kopf auch in der Nase stecken. Das war aber alles kein Problem, denn wie gesagt, war der Film allein genug Erlebnis, der Versuch mit den Düften an sich interessant und die Atmosphäre mehr als angenehm.
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Fotos: © 2010 Thomas Entzerot
Raumpatrouille Orion (Deutschland, 1966)
Der Directors Cut der legendären deutschen Sci-Fi Serie aus den 60ern, die quasi der Mondlandung im TV den Weg bereitete und die Enterprise auf den Plan rief, beinhaltete einen Zusammenschnitt mehrerer Folgen. “Rücksturz ins Kino” vermochte aber dennoch als eigenes Weltraumabenteuer mit durchgehender Geschichte zu bestehen. An sich schon äusserst unterhaltsam durch die staksige Crew, den bekloppten Tanz und die skurrilen Requisiten (vom umfunktionierten Bügeleisen bis zum Bleistiftspitzer fand alles Verwendung im Raumschiff), schoss die Live-Synchronisation der Bühnenformation kraut_produktion den Vogel gänzlich ab. Dietmar Schönherr sprach plötzlich schwäbisch, Eva Pflug mit russischem Akzent, den sie aber mitunter auch mal vergass, des weiteren hörte man Zürcher Dialekt, Berliner Schnauze, eine an Hitler erinnernde Sprechweise, nochmal einen durchgehenden Russen und einen Ösi-Wortschatz. Nicht ganz grundlos war der Österreicher dann auch der Böse, denn in derselben Woche liefen die Olympischen Winterspiele, bei denen unsere Nachbarn einen lächerlichen Skisprung-Streit vom Zaun brachen. Elke Heidenreich als Sternenschau-Sprecherin Helma Krap war sowieso eine Klasse für sich. Nach der Pause ging bei den Synchronisatoren, die sich extra für diesen Abend in ihre kosmische Garderobe geschmissen hatten, gar nichts mehr. Weil sie selbst andauernd lachen mussten, wurden die Einsätze verpasst, doch das war dann eh Wurscht. Es war zum Schreien komisch. Ein galaktisch guter Abend!
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Fotos: © 2010 Thomas Entzerot
Galaxy Quest (USA, 1999)
Auf diesen Streifen aus dem Jahr 1999, der herrlich selbstironisch die ganze Trekkie-Kultur, inklusive Conventions und diverser Sci-Fi Filme parodiert (Star Trek, The Day the Earth Stood Still, 2001: A Space Odyssey), aber auch die Fernsehmaschinerie als solches humorvoll hinterfragt, freute ich mich besonders. Natürlich vor allem wegen Sigourney Weaver, die im Film als tiefausgeschnittenes Busenwunder ohne nennbare Funktion an Bord die totale Kehrseite zu ihrer Rolle als kampferprobte und selbstbewusste Ripley in Alien ist. Die Story von Galaxy Quest ist eben auch urkomisch: Hier spielen Schauspieler Schauspieler – nämlich die einer ehemals bekannten Science Fiction-Serie. Zu ihrem Unglück wird die vorgetäuschte Weltraummannschaft, die sich darüber hinaus noch nicht mal leiden kann, von Ausserirdischen für echt gehalten und zum äusserst realen Sternenkrieg abkommandiert. Am Eingang zum EWZ-Unterwerk wurden die Besucherinnen und Besucher stilgerecht von Menschen in Star Wars- und Star Trek-Kostümen empfangen, eine Bilderwand brachte einem die einzelnen Figuren näher und dazu gabs gratis Spock-Ohren für alle. In Parallel-Projektion wurden auf der gleichen Leinwand Ausschnitte aus Star Trek gezeigt, die manchmal verblüffend genau mit den dargestellten Szenen in der Persiflage übereinstimmten. Die Stimmung war grandios. Das Publikum – alle brav die Gummiohren aufgesetzt – beklatschte und bejohlte jede einzelne Kampfszene.
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Fotos: © 2010 Thomas Entzerot
Fazit: Das EWZ-stattkino ist innovativ, klein und fein. Die Atmosphäre im Unterwerk Selnau war jedesmal grossartig, was vor allem an der interessanten Publikumsmischung lag. Hier trifft man die Freaks genauso wie die Zürcher Uperclass. Ich werde im nächsten Jahr sicher wieder hingehen.
Interview mit Nani Khakshouri von der Programmation des ewz.stattkino
_Groarr: Die 11. Ausgabe des stattkinos ist vorbei. Seid ihr zufrieden mit dem Ablauf, der Durchführung und dem Ticketverkauf?
_Nani Khakshouri: Ja, sehr.Als Team sind wir mittlerweile sehr eingespielt, weil viele von uns seit ganz langer Zeit dabei sind. Der Ticketverkauf ist extrem gut gelaufen und war schlicht überwältigend. Seit sechs Jahren sind wir nicht mehr soviele Eintrittskarten los geworden.
Mir ist aufgefallen, dass es ein extrem zusammengewürfeltes Publikum ist. Da treffen sich wirklich alle oder?
Das ist so. Wir haben sehr bewusst ein heterogenes Programm, weil wir mannigfaltige Zielgruppen ansprechen wollen. Es gibt einige Möglichkeiten, im Rahmen von einem Werk unterschiedliche Menschen zu erreichen. Je nach Filmauswahl ergibt sich das aber auch von selber. Ein Beitrag mit Lesung zieht sicher mal Leute an, die sich für die Lesung interessieren, gleichzeitig jedoch ein weiteres Publikum, dem vielleicht der Film eher ein Begriff ist. Das Ganze funktioniert aber auch spezifisch. Wenn wir einen Tangoabend durchführen, wie wir es die letzten zwei Jahre gemacht haben, dann ist es schon ganz klar, dass wir in erster Linie die Tanzbegeisterten erreichen wollen.
Habt ihr direktes Feedback von Besuchern und Besucherinnen bekommen?
Immer. Mehrheitlich positive Rückmeldungen. Zum Beispiel von Leuten, die ihre Ferien extra so buchen, dass sie das Festival nicht verpassen. Sowas freut uns total. Wir bekommen auch sehr viele Mails und Komplimente. Indirekt macht sich vor allem beim Ticketverkauf die Beliebtheit des Festivals bemerkbar. Viele holen direkt für alle Vorstellungen Karten, andere buchen für acht oder zehn weitere Personen aus ihrem Bekanntenkreis mit. Dass wir vermutlich weniger ZufallsbesucherInnen, sondern eher eine treue Fangemeinde haben, die jedes Jahr gerne kommt, ist für uns ein Riesenkompliment und bestärkt uns in unserer Arbeit. Es ist keinesfalls so, dass wir uns auf den Lorbeeren ausruhen oder das Gefühl haben, dass uns der Erfolg gewiss ist. Wir haben jedes Jahr Angst davor, fragen uns, ob das Programm gut ankommt und alles so klappt, wie wir uns das vorgestellt haben.
Welche Filme sind am besten gelaufen und warum? Was wurde eher weniger besucht?
Der Eröffnungsabend war ein Publikumsrenner. Auch die Live-Synchronisationen und der Schlussabend im Unterwerk Selnau waren schon ziemlich lange vor Festivalstart ausgebucht. Die Kindervorstellungen sind ebenfalls super gelaufen. Drei Filme waren nicht vollständig ausgelastet: En Effeuillant La Marguerite hatte nur knapp über hundert BesucherInnen. Ich denke das lag daran, dass es ein sehr alter Film ist, den die Leute nicht mehr kennen und wir ihn noch dazu als Nocturne-Vorstellung gebracht haben. Galaxy Quest war leider auch nicht ausverkauft, aber es war eine wunderschöne Atmosphäre, weil ganz viele Leute als Darth Vaders oder Trekkies verkleidet kamen. Weniger Tickets gingen ausserdem für The Beach weg. Woran das lag, weiss ich nicht recht. Vielleicht weil der Film keinen so guten Ruf geniesst und damals, als er in den Kinos anlief, grösstenteils verrissen wurde. Jedenfalls haben wir ganz bewusst den Film ausgesucht, weil das Buch einfach irrsinnig gut ist und ich finde auch den Film toll. Genauso gut hätten aber auch andere Filme aus unserem Programm weniger Eintritte verzeichnen können. Da spielen Faktoren mit, die ziemlich unberechenbar sind.
Wie läuft die Programmation ab? Sucht ihr erst die Filme und überlegt dann, in welcher Form man diese speziell darbieten kann oder umgekehrt?
Es ist ein intuitives Prozedere. Unser Festival hat kein Thema und wir wollen auch keine Sparte oder irgendeinen Regisseur hervorheben und fördern. Bei uns liegt der Fokus wirklich auf Neuinszenierungen von Filmen, der Zusatz ist uns wichtig. Wir definieren eigentlich immer zuerst die Gefässe, die wir unbedingt drin haben wollen. Dabei stellen wir den Anspruch an uns selber, jedes Jahr ein bis zwei Sachen zu bringen die wir noch nie gemacht haben. Und dann suchen wir die Filme danach aus. Es kann aber durchaus sein, dass wir unbedingt mit speziellen Künstlern zusammen arbeiten wollen und einen Film aussuchen, der zu ihnen passt. Des weiteren ist es möglich, dass es einen Streifen gibt, den wir unbedingt zeigen wollen und nicht wissen, was für einen Zusatz wir dazu bringen können.Wir tragen ihn dann drei, vier Jahre lang mit uns herum, bis plötzlich die Idee für eine gelungene Umsetzung kommt.
Sind die Ideen für Filme und Zusätze alles Einfälle, die ihr im Team entwickelt oder holt ihr euch noch von anderswo die nötige Inspiration?
Mehrheitlich sind es unsere Ideen, aber wir fragen auch immer bei unseren Catering- und BarmitarbeiterInnen nach, welche Beiträge sie gerne mal bei uns sehen würden. Vor knapp vier Jahren machten wir zudem eine Publikumsbefragung. Von den vorgeschlagenen Filmen haben es schon ein oder zwei in unser Programm geschafft. Manchmal kommen auch die KünstlerInnen auf uns zu. Zum Film Cabaret, der dieses Jahr bei uns lief, hatten die Burlesque-Tänzerinnen ihre Nummer schon, diese aber noch nie mit dem Film zusammen gezeigt. Höchstens mal in einem Ausschnitt. Wir hatten den Abend eigentlich schon mit Tango verplant, fanden die Showeinlage aber am Ende lässiger.
Was ist für dich persönlich der Antrieb, dich in der Programmation des Festivals zu engagieren?
Da ich seit 1999 dabei bin, ist das stattkino sowas wie mein Baby. Damals war es ganz anders konzipiert. Ich hatte eine Tanzagentur und wurde angefragt, ob ich Lust hätte das Festival zu organisieren. Mit Filmen hatte ich damals aber noch nichts am Hut, deshalb stellte ich zwei Bedingungen: Es müsste ein Mehrspartenfestival sein und Tanz ein Teil davon. Wir hatten drei Schwerpunkte, einmal ein 3D-Festival, dass einerseits eine Filmretrospektive beinhaltete, andererseits eine Traminstallation, also eine Camera Obscura als fahrendes Tram und das dritte Gewicht war eben der Tanzteil, der mit visuellen Täuschungen spielte. Dies sollte eine einmalige Sache sein und war nicht auf Langfristigkeit aufgebaut. Das Ganze entwickelte sich aber dann weiter zu einem Filmfestival mit Zusatz in seiner heutigen Form.
Habt ihr es als spezielles Festival schwerer, euch finanziell über Wasser zu halten oder ist es eher positiv, dass ihr so eine Nische abdeckt?
Letzteres. Wir sind sehr mit dem EWZ verbandelt. Ursprünglich hiess unser Festival volts&visions, doch seit 2008 ist mit dem neuen Namen die Bindung klar. Das Elektrizitätswerk der Stadt Zürich ist unser 1. Geldgeber, wir haben jedoch auch noch andere Partner. Sehr viele unterstützen uns mit diversen Sachleistungen. In diesem Jahr haben uns zusätzlich einige Stiftungen etwas gespendet und die ZKB war Gönner der Lunchfilme. Es wäre aber jetzt undenkbar einen zweiten Hauptsponsor an Land zu ziehen. Also für uns nicht, wir fänden das super. Doch EWZ und Festival gehören zusammen. Abgesehen davon ist die Partnerschaft mehr als gut. Trotzdem können wir uns nicht allein darauf verlassen und müssen uns darüber hinaus natürlich immer wieder aufs Neue um Medienpartnerschaften oder Sachleistungsgaben bemühen.
Was wünscht ihr euch für die Zukunft? Gibt es noch angestrebte Verbesserungen, Änderungen?
Es gibt immer Dinge die verbesserungswürdig sind. Wir haben gerade mit allen Partnern Briefing-Sitzungen und überlegen uns, wie wir bestimmte Sachen verändern können. Was das Programm betrifft, ist es mein Anliegen, dass wir weiterhin immer wieder neue Sachen ausprobieren. Vielleicht fallen wir dabei auch mal auf die Nase, aber das Festival soll ein Laboratorium bleiben. Mir ist wichtig, dass wir den Mut nicht verlieren und nicht einfach auf Sachen setzen, die funktionieren.
Interview: Sarah Stutte
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