von (dap)
David Fincher verfeinert in Gone Girl nicht nur seine neue Ästhetik, der Film ist ein Zusammenschluss der wendungsreichen und komplexen Frühwerke mit der perfekten Machart seiner letzten Filme. Ein mehrschichtiges Meisterwerk, das zum mehrmaligen Sehen anregt und einige Überraschungen bereithält. Die Romanvorlage stammt von Gillian Flynn, die auch das Drehbuch für den Film verfasst hat.
Der neue Film von David Fincher macht genau das, was man erwartet: er lässt einen nicht mehr los. Denkt man an die frühen Filme des Regisseurs wie Seven oder The Game, denkt man automatisch an den Twist am Ende – der Zaubertrick, der einen ins Staunen versetzt und das Vorangegangene nochmal in ein völlig anderes Licht stellt. Die Filme waren nach dieser alles entscheidenden Wendung aufgebaut. Gleichzeitig hatte die Schlussszene einen jeweils kathartischen Effekt, weil sie dem zuvor mysteriös-unverständlichen Sinn verliehen hat. Das teuflische Werk von John Doe wird am Ende von Seven erst wirklich fassbar, seine Absichten und er selbst dadurch aber irgendwie auch menschlich. Das Spiel in The Game entpuppt sich als Jux, als Belehrung für jemanden, der sich nie belehren lassen wollte, und auch wenn raffiniert und überraschend inszeniert, ist die Auflösung nüchtern betrachtet irgendwie enttäuschend, weil der Film ein bisschen wie ein Kartenhaus in sich zusammenbricht. Anders war dies in Zodiac– eine Krimigeschichte basierend auf wahren Begebenheiten. Hier bleibt die Auflösung im Ungewissen, die akribische Suche Jake Gyllenhaal bleibt unbelohnt. Und wichtiger: Die Psyche des Killers bleibt ebenso unergründet. In dieser Hinsicht unspektakulär speist sich die Spannung gerade aufgrund der vielen offenen Türen und unbeantworteten Fragen. Man tappt im Dunkeln, Zuschauer wie Hauptfigur. Nach dem Film ist man in Gedanken beim realen Killer, was extrem unheimlich ist.
Mit neuzeitlichen Werken wie The Social Network und The Girl with the Dragon Tattoo schien Fincher sich nach Ausflügen ins Fantastische (The Curious Case of Benjamin Button) an einer neuen Ästhetik zu probieren und sich wieder dem Thriller zu nähern. Entscheidend für dieses neue Aussehen und Anhören von Finchers Filmen waren vor allem auch die Farben und Kamera von Jeff Cronenweth sowie die eigens komponierte Musik von Trent Reznor und Atticus Ross. In Gone Girl werden diese Elemente nun noch vielschichtiger eingesetzt und perfektioniert. Dabei vereint Fincher die Ästhetik seiner neuen Filme mit der Komplexität seiner älteren Werke, ohne sich zu wiederholen. Gone Girl wird erst durch seine Wendungen so faszinierend, doch sind diese nicht so final wie in Seven oder The Game, sondern lassen wie in Zodiac genügend Raum offen, um dem Film seine Vielschichtigkeit zu verleihen und auf mehreren Ebenen zu funktionieren.
- © 2014 20th Century Fox Film Corporation. All Rights Reserved
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Wie der Titel schon verrät geht es um eine verschwundene Frau. Amy Dunne. Die Ehefrau von Nick Dunne. Zwei erfolgreiche Autoren, die in einem perfekten Vorstadthaus wohnen. Als Zuschauer begleitet man Nick wie er am fünften Hochzeitstag nach Hause kommt und ein leeres Haus vorfindet. Seine Frau ist weg. Es gibt Anzeichen für eine gewaltvolle Entführung, wie etwa ein zerschlagener Glastisch oder Blutspritzer in der Küche. Nick alarmiert die Polizei, sucht Halt bei seiner Schwester, informiert die Schwiegereltern. Die Sache nimmt ihren Lauf. Polizisten suchen nach der Vermissten, Mitbürger helfen zahlreich mit und die Medien veranstalten einen grossen Zirkus um das Ganze – nicht zuletzt weil „Amazing Amy“ ein Kinderbuchstar war. Das Interesse ist enorm und Gerüchte machen schnell die Runde. Das Lächeln des attraktiven Ehemanns ist den TV-Moderatorinnen zu unbekümmert und Nick – wie so üblich, wenn eine Ehefrau verschwindet – wird bald zum Tatverdächtigen. Spätestens als sich seine Geliebte, eine Studentin von ihm, an die Öffentlichkeit wendet, wird es zunehmend ungemütlich für Nick.
Man mag Ben Affleck als Schauspieler mögen oder nicht, sein mimischer Facettenreichtum war schon immer beschränkt. Dies kommt ihm als Nick Dunne jedoch gerade zugute, dient die Figur nämlich als Stereotyp für den gutaussehenden Ehemann von nebenan. Afflecks minimalistisches Spiel mit den Emotionen lässt den Zuschauer die Figur kaum richtig einschätzen und macht sie spannend: liebevoller Ehepartner, fremdgehender Betrüger, Entführer oder sogar Mörder? Es ist ihm schlichtweg nicht von den Lippen zu lesen. Doch Rosamund Pike verleiht ihrer Amy ein ähnlich geschliffenes, fast schon klinisches Äusseres mit ihren kühlen Augen, dem glatten Antlitz und dem fehlenden Makel. Es sind zwei schöne Gesichter, die jedoch keine Geschichte erzählen, und so als Projektionsfläche für ebensolche dienen. Die Medien erfinden ihre Storys nach Belieben und machen Nick das Leben zunehmend zur Hölle. Doch was ist wirklich passiert? Was spielte sich hinter den verschlossenen Türen des kinderlosen Traumhauses ab?
Parallel zum Verschwinden und der Suche nach Amy trägt sie selbst aus dem Off sprechend aus ihrem Tagebuch vor und führt den Zuschauer in die Anfänge ihrer Beziehung mit Nick ein. Diese Parallelgeschichte wird zunehmend wichtiger, wenn man auch nicht behaupten kann, dass am Ende alles zusammengeführt wird. Das wäre zu einfach. Vielmehr gibt es Unterbrüche, neue Richtungen und andere Perspektiven. Wem soll man vertrauen, wem kann man noch vertrauen? Fincher reichert dieses Verwirrspiel schon mit der Besetzung seiner Stars an. Nicht nur macht er etwa Afflecks Schwäche zu seinem Vorteil, auch besetzt er einen Tyler Perry (bekannt für seine afro-amerikanischen Komödien) und Neil Patrick Harris (Serienstar aus How I Met Your Mother) gegen den Strich. Dieser Ansatz entspricht dem gesamten Film, wo nichts so ist, wie es scheint, und wo die Medien schuld an der falschen Wahrnehmung sind. Dieser Diskurs lässt sich weiter öffnen und auf die heutige Ehe, die Rolle der Frau und das Vorstadtleben an sich beziehen. Dies sind die Themen, die Fincher offensichtlich interessieren, die er detailliert verpackt und gezielt aufbricht. Die Medien scheinen die Schuld an diesen Trugbildern zu tragen, liefern die Vorsätze, die man täglich nachlebt. Sie liefern das, was man sehen will. Doch wo liegt der Sinn und Zweck der Ehe in der heutigen Gesellschaft überhaupt? Wo liegen die Vorteile, wenn die Schmetterlinge verflogen sind und die gegenseitige Abneigung an der Oberfläche kratzt? Gone Girl liefert wenig Antworten aber zumindest bitterböse Kommentare auf Fragen wie diese.
Gone Girl Land: USA Regie: David Fincher Drehbuch: Gillian Flynn Schauspieler: Ben Affleck, Rosamund Pike, Neil Patrick Harris, Tyler Perry, Carrie Coon, u.a. Kamera: Jeff Cronenweth Schnitt: Kirk Baxter Musik: Trent Reznor, Atticus Ross Laufzeit: 145 Minuten Kinostart: 02.10.2014 Verleih: 20th Century Fox Film Corporation. All Rights Reserved Weitere Infos bei IMDB |
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